Otto Geil: Gleitbewegungen bei der Wetterlage vom 11. bis 13. Mai 1936 und die Theorie der Zirkulationsleitung 11
im Südwesten dieser Aufstiegsstelle mächtige Quellungen bis in eine Höhe von 5000 Meter reichen. Diese
Beobachtungen lassen darauf schließen, daß in dem fraglichen Gebiet ebenso wie über Mitteldeutschland eine
Neigung zum Aufgleiten oder Abheben bis in hohe Schichten der Atmosphäre hinein geherrscht haben muß,
die sich aber lediglich in Vertikalzirkulationen kleineren Ausmaßes erschöpft.
Über Holland zeigt die absolute Topographie der 500-mb-Fläche am 11. Mai (Karte 5) das erwähnte
Höhentief, das von Nordwesten her seinen Weg dorthin genommen haben dürfte. Es läßt sich nicht ent
scheiden, ob dieses Gebilde schon längere Zeit selbständig bestanden hat, oder ob es im Begriff ist, sich von
dem nördlichen Tiefdruck- bzw. Kältegebiet zu trennen. Am wahrscheinlichsten ist die Annahme, daß es sich
hier um eine Trogsteuerung handelt, bei der ein Kaltlufttropfen an der Südwestflanke eines Tiefdruckaus
läufers entlang geführt wird. Sein Erscheinen bewirkt im Verein mit der Erwärmung über Osteuropa eine
Verstärkung des west-östlich gerichteten Temperaturgradienten.
Südwestlich von Island liegt am 12. Mai eine Depression von 980 mb (Karte 6). Das zu dieser gehörige
Fallgebiet hat seinen Einfluß auf die vorerwähnte Hochdruckbrücke erstreckt, ohne dieselbe nennenswert
abzubauen. Dies sichert für Mitteleuropa den Fortbestand der geringen Bewegungssteuerung.
Die am Vortag über dem östlichen Mitteleuropa liegende Depression hat sich unter geringer Vertiefung
mit ihrem Zentrum bis Riga verlagert. In den 24stündigen Druckänderungskarten wird über Mitteleuropa der
Betrag von 5 mbar nicht erreicht, in den 3stündigen ein solcher von 1 mbar nicht übersdiritten.
Das schon am Vortag vorhandene Gebiet mit Schichtbewölkung hat sich kaum verlagert (Karte 2).
Bemerkenswert ist, daß sich in demselben ein geschlossenes Regengebiet entwickelt hat. Die in diesem vor
handene Stratusbewölkung geht nach Nordwesten in eine solche mit Acu, Acu-Lent und schließlich mit Cu
über. Bezeichnend für die Übergangszone sind die Augenbeobachtungen der Aufstiege von Hamburg und
Norderney. Um 8 Uhr wurde in Hamburg im Süden Stracu, Acu und Ci, im Osten zunehmende Stracu-
und Cu-Bewölkung beobachtet. Wesentlich ist, daß zum selben Termin Norderney u. a. von Süd nach Nord
abnehmende Bewölkung mit Acu und Acu-I.ent meldet.
Das Auftreten der Lenticularisformen ist typisch für das Gebiet, in dem die Aufgleitbewölkung ihr
Ende findet (vgl. S. 5). Es deutet darauf hin, daß das Regengebiet einem stabilen Gleitvorgang seine Ent
stehung verdankt. Die Randzone eines derartigen Gebietes ist gleichsam das Kampfgebiet zwischen Auf-
und Abgleiten.
Auf Grund der Augenbeobachtungen kann man daher schließen, daß Norderney sich in dem Gebiet
befindet, in dem auf- und absteigende Luftbewegungen um die Vorherrschaft kämpfen. Das Aufgleitgebiet
geht hier nach Norden in ein solches mit absinkender Luftbewegung über.
Die Entwicklung im Laufe des Tages führt dazu, daß um 19 Uhr die Grenze noch schärfer ausgeprägt
ist. Während die Augenbeobachtung zu diesem Zeitpunkt in Norderney ausdrücklich von Abgleiten spricht,
meldet Hamburg Frcu-Fetzen und Stratus von 1500 bis 2200 m.
Eine Betradrtung der Topographien der 500-mbar-Fläche zeigt, daß die Abtrennung des Höhentiefs
Fortschritte gemacht hat. Diese Entwicklung wird durch die Witterung über der Nordsee begünstigt, bzw.
steht mit dieser in ursächlichem Zusammenhang. Hier bewirkt absteigende Luftbewegung eine Erwärmung
der unteren Luftschichten.
Daß in dem in Frage kommenden Gebiet Absinken herrscht, zeigt die vorhandene geringe Bewölkung
ebenso wie die genannten Aufstiege von Norderney (Karte 12). Es sei darauf hingewiesen, daß ferner die
stattgehabte stärkere Ausbildung der Höhenströmungsdivergenz, wie sie insbesondere in der Deformation
der Isohypse 5480 dynm der absoluten Topographie der 500-mbar-Flädie zum Ausdruck kommt (Karte 6), auf
eingetretene absteigende Luftbewegung hinweist. Die am Vortage nur angedeutete Ausbildung einer Höhen
strömungsdivergenz ist, wie Karte 6 zeigt, im Niveau der 500-mbar-Fläche zum Abschluß gelangt.
Dasselbe gilt hinsichtlich der Höhenströmungskonvergenz im Südostteil des Kaltlufttropfens, die eine
schärfere Ausprägung erfahren hat.
Während das Höhentief vom 11. und 12. Mai seine Lage nicht verändert hat, ist es bis zum 13., 8 Uhr,
von Holland nach Mitteldeutschland vorgerückt (Karte 7). Dabei hat sich das Niederschlagsgebiet, das am
12. Mai über Deutschland lag, wesentlich verstärkt (Karte 3). Die Aufstiege von Berlin, die die Verhältnisse
in dem Aufgleitgebiet wiedergeben, zeigen vom 12., 8 Uhr ab, zunehmende relative Feuchtigkeit. Bis zum 13.,
19 Uhr, ist dann in allen erfaßten Schichten völlige Sättigung eingetreten (Karten 12 und 13).
Bemerkenswert sind die starken Änderungen, die der vertikale Temperaturgradient im Aufgleitgebiet
erfährt. So beträgt derselbe für Berlin zwischen den hauptisobaren Flächen 1000 und 500 mb am 12., 8 Uhr,
0,62 Grad/100 dyn m, am 13., 8 Uhr, 0,72 Grad/100 dyn m. Im Gebiet mit absteigender Luftbewegung tritt
eine Stabilisierung ein, wie ein Vergleich der entsprechenden relativen Topographien (Karten 6 und 7) zeigt.