Dr. Heinz Wich mann - Über die Bedeutung des Blißes im elektrisdhcn Mechanismus des Gewitters.
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Nach den Ergebnissen der vorliegenden Arbeit müssen wir demgegenüber das entgegengesetzte Vor
zeichen annehmen, d. h. daß es sich bei den 85 % der Blitzentladungen Jensens um Entladungen aus einem
plötzlich aufgeladenen positiven Wolkenteil handelte.
Neuen Anstoß gaben diesem Problem die von B. F. J. Schonland [12] mit Hilfe einer sehr schnell
rotierenden sog. Boys-Kamera entdeckten Vorgänge in der Blitzbahn. Danach wird der Blitzkanal durch
eine Vorentladung (leader-stroke) stufenweise von der Wolke her ausgebildet. Beim Erreichen des Erd
bodens geht dann ein starker Strom, die Hauptentladung (return-main-stroke) sehr viel schneller zurück zur
Wolke. Die darauf folgenden Teilentladungen zeigen auch oft einen „leader“, der aber meist nicht stufen
weise, sondern in einem Zuge ausgebildet wird. In diesem Zusammenhang sprach Schonland die Ansicht aus,
daß dieser „leader“ nur von einer negativ geladenen Wolke ausgebildet werden könne.
Dieses nahm T. E. Allibone [13], [14] zum Anlaß, das Verfahren der „Boys-Kamera“ auch auf lange
elektrische Funken anzuwenden. Das Ergebnis war eine Ausbildung der Funkenbahn analog des Blitzes durch
einen „leader“ von der Hochspannungselektrode in Richtung der geerdeten Elektrode, der auch gleichzeitig
die Richtung der Verzweigung gibt. Einen Gegensatz bildet vorläufig noch die gleichzeitige Ausbildung eines
„leader“ und Verzweigung von der geerdeten Elektrode her. Das Hauptergebnis war die Tatsache aber, daß
ein „leader“ sowohl von einer negativen, als auch von einer positiven Elektrode her ausgebildet werden
kann, wobei der positive „leader“ sogar den Vorrang zu haben scheint. Eine Funkenentladung von einer
positiven Spitzenelektrode zu einer geerdeten Plattenelektrode ist auf einer Aufnahme mit einer Boys-Kamera
von einer gleichartigen Blitzaufnahme nicht zu unterscheiden. Dagegen zeigt sich für den Fall einer negativen
Spißenelektrode eine starke Verzweigung von der geerdeten Elektrode her, wie sie derart noch nie bei einem
Blitz beobachtet worden ist. Weiter ist bemerkenswert, daß bei Funkenüberschlägen mit dieser Elektroden
anordnung die benötigte Spannung für positive nahezu halb so groß ist wie für negative.
Dieses von T. E. Allibone erhaltene Ergebnis dürfte daher wohl nahezu eindeutig zugunsten einer
positiven Wolkenladung zu werten sein.
Die Möglichkeiten, die zur Erklärung der Tatsache, daß die Verzweigung des Blitzes fast immer gegen
die Erde gerichtet ist, herangezogen worden sind, wie etwa die Unebenheiten der Erdoberfläche [7], die
elektrischen Erdbodeneigenschaften [15] und örtliche Raumladungen unter der Wolke [16], scheinen nach
diesen Untersuchungsergebnissen wohl nur eine sekundäre Rolle zu spielen.
Als Abschluß der obigen Darlegungen kann also jetzt festgestellt werden, daß sowohl die Feldmessungen,
als auch die photographischen Blitzaufnahmen und die Laboratoriumsversuche eindeutig auf eine positive
Ladung des wirksamen Teils der Wolke hinweisen, ohne daß irgendwelche Theorien zur Klärung heran
gezogen zu werden brauchen.
Es ist jetzt von größtem Interesse, nachzuprüfen, ob dieses Ergebnis mit den aerologisch gemessenen
Ladungsverhältnissen in der Gewitterwolke im Einklang steht.
Aerologische Potentialgradienten-Messungen in der Gewitterwolke wurden von Sir G. Simpson und
F. J. Scrase [11] ausgeführt und ergaben folgende Verteilung der Elektrizität: Der Hauptteil der Gewitter
wolke ist negativ, ihr oberer Teil positiv geladen; am Grunde der Wolke befinden sich stellenweise starke
Zusammenballungen positiver Ladung, die mit den Aktivitätszentren des Gewitters und mit starkem Regen
verbunden sind.
Nach der oben vorgetragenen Auffassung müssen wir daher annehmen, daß der Ursprung der Blitz
entladungen, die zwischen Wolke und Erde erfolgen, in diesen vereinzelten, geballten, positiven Ladungs
ansammlungen zu suchen ist, da, wie die Beobachtungen zeigen, die meisten Blitze aus der Gegend des
stärksten Regens und damit der Hauptansammlung der positiven Ladung stammen.
Damit hat sich der wirksame Teil der Gewitterwolke auch durch diese direkten Messungen als positiv
geladen erwiesen.
Wenn Simpson und Scrase nicht in jedem Fall diese positive Ladung feststellen konnten, so wird dies
an der geringen Ausdehnung und plötzlichen Aufladung derselben gelegen haben, wie dieses die Verfasser
ebenfalls vermuten.
Nach Messungen von E. Hochschwender [17] wird beim Zerblasen eines großen Tropfens von 4.8 mm 0
eine positive Ladung von + 0.8 • 10 " 12 Coul. frei. Um also eine Ladung von 20 Coul. zu erzeugen, müßten