Dr. Heinz Wichmann: über die Bedeutung des Blitjes im elektrischen Medianismus des Gewitters.
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A. Einleitung.
Die ersten umfangreicheren Untersuchungen über die Vorgänge innerhalb der Gewitterwolke auf
Grund von Messungen des Potentialgradienten am Erdboden stammen von C. T. R. Wilson. Das von ihm
selbst erdachte Verfahren („Wilsonplatte“ und Kapillar-Elektrometer) gestattete eine kontinuierliche Re
gistrierung des Verlaufs der Änderungen des Potentialgradienten während eines Gewitters. Über seine auf
photographischem Wege registrierten Messungen berichtet Wilson in seinen Arbeiten (1916 und 1920) [1],
[2] *) u. a. wie folgt:
„Der Potentialgradient kann in jedem Augenblick als ein Ergebnis des Zusammenwirkens verschiedener
elektrischer Felder angesehen werden, sowohl derjenigen, welche zu Ladungen in verschiedenen Wolken, als
auch zu verschiedenen Aktivitätszentren der gleichen Wolke gehören. Die Entladung durch einen Blitzschlag
ergibt dann eine plötzliche Zerstörung des bestehenden Feldes. Dieses ergibt in der Registrierung einen plötj-
lichen Ausschlag, der gemäß der Wiederherstellung des Gleichgewichts des Feldes in die normale Registrier
kurve bzw. -richtung zurückgebt.“ In bezug auf das Vorzeichen der im Potentialgradienten durch Blitj-
entladungen hervorgerufenen plötzlichen Änderungen, fand Wilson ein Uberwiegen „positiver Blitze“ im Ver
hältnis 1.5 : 1. Unter einem „positiven Blitz“ versteht er eine Schwankung des Potentialgradienten (P. Gr.)
im positiven Sinne, verursacht durch einen Transport negativer Elektrizität zur Erde.
Weitere Untersuchungen von B. F. J. Schonland und J. Craib (1927) [3], sowie von E. C. Halliday
(1932) [4] erbrachten ähnliche Ergebnisse.
Die durch Augenbeobachtung und besonders durch Photographien festgestellte Verzweigung des Blitzes
gaben B. Walter (1903) [5] und G. C. Simpson (1926 [6] Veranlassung, diese für die Bestimmung des Vor
zeichens der Entladung heranzuziehen. Beide stellten fest, daß die Verzweigung einer Funkenenlladung im
Laboratorium untersucht immer vom positiven Ladungspol wegwies, und schlossen daraus, daß die positive
Elektrizität gegenüber der negativen, eben auf Grund der Möglichkeit sich zu verzweigen, schon bei ge
ringeren P. Gr. einen leitenden Blitzkanal bilden kann. Von den Simpson zur Verfügung stehenden Blitz
photographien waren 245 bezüglich der Verzweigung auswertbar. Von diesen zeigten 242 Verzweigung
abwärts in Richtung Erde, wodurch die Wolke gemäß den Versuchen in diesen Fällen als positiv geladen
gekennzeichnet war. Nur 3 zeigten Verzweigung nach oben, somit auf eine negative Wolkenladung hin
deutend. Durch diese Vorstellungen kommen Walter und Simpson in einen Gegensatz zu den oben genannten
Ansichten Wilsons.
Diesem entgegen stehen Versuche von B. F. J. Schonland und T. E. Allibone (1931) [7] mit Stoß
spannungen von 10® Volt, die sowohl eine Verzweigung der Funkenentladung vom positiven, als auch vom
negativen Pol her ergaben, wenngleich sie im erstereri Fall stärker war. Desgleichen wurde eine Abhängig
keit der Stärke der Verzweigung von der Form der verwendeten Elektroden beobachtet.
Über eine umfangreiche Untersuchung dieses Falles berichtet J. C. Jensen (1933) [8] in einer Arbeit,
in der er die Verzweigung des Blitzes auf Grund von photographischen Aufnahmen mit gleichzeitigen
Messungen des P. Gr. am Erdboden vergleicht und die Ergebnisse zur Feststellung der Polarität der Gewitter
wolken benutzt. Er fand hierbei, daß von 90 Entladungen zwischen Wolke und Erde, die eine abwärts
gerichtete Verzweigung aufwiesen, 77 — also 85 % — mit positiven Feldschwankungen verbunden waren,
daß es sich also nach der allgemeinen Ansicht um Entladungen einer negativ geladenen Wolke handeln
mußte. Für Entladungen, die nach seiner Ansicht negative Feldschwankungen hervorgerufen hatten also
dieser Ansicht entsprechend positive Ladung führten —, hat Jensen eine stärkere und reichere Verzweigung
auf den Aufnahmen festgestellt, was also den Versuchen von Schonland und Allibone entspricht.
*) Die Zahlen beziehen sich auf das Schrifttum am Schluß der Arbeit.