Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens
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Pfropf die Bucht von Kronstadt, wo der wichtige Kriegshafen Kronstadt und der ebenso wichtige Handelshafen
Leningrad liegen.
Estland nimmt an den extremen Eisverhältnissen des östlichen Finnenbusens nur mit seinem Hafen
Narwa-Jöesuu (Hungerburg), dem Vorhafen von Narwa, teil, erfreut sich aber sonst einer Begünstigung, wie sie
nirgends mehr im ganzen Untersuchungsbereich anzutreffen ist, wenn man von dem Westküstenstreifen Lettlands
absieht. Die beigegebene Karte des mittleren Beginns der Vereisung zeigt diese Bevorzugung sehr deutlich
(Karte IIIJl.
Anders als der Finnische Meerbusen verhält sich der Rigabusen. Zunächst liegt er in südlicherer Breite,
so daß insbesondere im Frühling die Einstrahlung früher wirksam ist und die Eisschmelze stärker fördert. Seine
abgeschlossene und kontinentalem Klimaregiment unterworfene Lage verschaffen ihm schwierige Eisverhältnisse,
die ebenfalls ein südwest-nordöstliches Gefälle zeigen. Da die eishindernde Beeinflussung von der Ostsee her
jedoch hier schwächer ist, ist der Unterschied in der Dauer der Vereisung an seinem Eingang auf kurze Ent
fernung hin groß. Währehd die Westküste Lettlands bis zur Irbener Meerenge nahezu ohne nennenswerte Eis
bildung bleibt, beginnt diese schon unmittelbar hinter der Pforte an beiden gegenüberliegenden Küsten relativ
früh und währt besonders im Nordteil lange. Der Rigabusen besitzt wie der Finnenbusen einen ausgehenden
Eisstrom im Frühjahr, der aber die Meerenge von Irben ganz erfaßt bzw. in den südlichen Gewässern auch so
stark entwickelt ist, daß die auffallende Eisarmut auf der Düna bei Riga und Dünamünde illusorisch ist. Es
ergibt sich für die Schiffahrt ein langer, nicht immer forcierbarer Eisweg.
In den nordöstlichen Winkeln und im Bereich der flachen Seegebiete zwischen dem Festland und den
Inseln Dago und Ösel bilden sich, gewissermaßen im toten Winkel zwischen dem System des Finnischen und des
Rigaischen Meerbusens, noch einmal Vereisungszentren aus, die hinsichtlich der Dauer wohl an die des östlichen
Finnenbusens heranreichen können, aber nicht hinsichtlich der Intensität. Die in Lit. Nr. 137, S. 535 und Nr. 138,
S. 178 gegebene Karte der Vereisung der Ostseehäfen von v. Loesch bzw. Seraphim ist in diesem und in anderen
Punkten (z. B. Schärenmeer) völlig falsch.
Die Linien gleicher Ausdehnung des Eises zu Beginn der Vereisung, also die Wachstumsisokryonen, zeigen
eine küstenparallele Anordnung mit den oben geschilderten Abweichungen, die jedoch an dem prinzipiellen
Charakter der Küstenparallelität nichts ändern. Das Bild ändert sich grundlegend für die Zeit der Enteisung,
die im westlichen und z. T. auch im östlichen Finnischen Meerbusen eine Umkehr bedingt. (Vgl. die beigegebene
Karte IV.) Im allgemeinen ist der Unterschied in der Zeit der Enteisung nirgends groß. Die Eismassen des öst
lichen Finnenbusens bedingen jedoch die schon erwähnte Verlängerung der Eisperiode, die sich in einer längeren
Dauer des Treibeises im Seegebiet äußert, wenn an den Küsten das Festeis schon verschwunden ist. Dies liegt
vornehmlich an der schlechten Enteisungsmöglichkeit, und man braucht keineswegs zu komplizierten mete
orologischen Erklärungen zu greifen. Jedenfalls ist die große Eismenge nicht allein dafür verantwortlich zu machen,
sie könnte bei günstiger Driftmöglichkeit, also konstanten ausgehenden Winden und Strömungen in offenen Ge
wässern, ohne weiteres schneller verschwinden.
Zwar besteht auch im Rigabusen eine Ungleichheit bezüglich der Enteisung durch den dort auftretenden
Eisstrom, aber sie ist geringer. Nur im äußersten Nordosten hält sich manchmal noch Treibeis, das an der Ab
trift gehindert ist. Der allgemeine Küstenverlauf und die Sunde, deren Festeis schon im April aufbricht, sorgen
mit für eine wirksamere Enteisung des Busens. Ein Hin- und Herschieben von Küste zu Küste kommt wesentlich
seltener vor.
Die Westküste Lettlands steht dem Charakter ihrer Eisverhältnisse nach in allen Punkten dem Vereisungs
typ der südlichen Ostsee am nächsten. Auch im Rigaischen Meerbusen spüren wir Anklänge an diesen Typ, vor
nehmlich in einer konstant früheren Eisschmelze der südlichen Hälfte. Im übrigen bildet jedoch das ganze Unter
suchungsbereich mitsamt dem Bottnischen Meerbusen ihm gegenüber eine große Einheit mit vielen charakteristi
schen Ähnlichkeiten unter sich, nicht zuletzt in der großzügigen Parallelität der Vereisung mit der des Barents
meeres und Weißen Meeres (Lit. Nr. 88).
Anhangsweise ist in dem beifolgenden Diagramm die mittlere Dauer der Vereisung aller Stationen nach
Lit. Nr. 46, 52, 106 dargestellt worden. Sie stellt eine Ergänzung zu den beiden Karten der Isokryonen dar. Es
heben sich deutlich ab: das extremste Vereisungsgebiet des östlichen Finnenbusens mit dem Paroxysmus in der
Kronstädter Bucht — das günstigere SW-Finnland sowie die Eisarmut Nordwestestlands und aller seewärtigen
Orte. Das Insel gebiet und der nordöstliche Rigabusen bilden das zweite Vereisungszentrum, das nach SW zu
1 Nur zögernd habe ich mich zur Beigabe von Isokryonenkarten entschlossen. Sie fehlen im allgemeinen keiner zusammen
fassenden Eisarbeit. Ihr Wert ist jedoch in allen Fällen begrenzt. Für Einzelheiten ist das Stationsnetz zu weitmaschig, zur generali
sierenden Darstellung müssen jedoch lokale Besonderheiten bewußt außer acht gelassen werden. Auch leidet die Darstellung von
Durchschnittswerten unter der großen Variabilität der Vereisung.