Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens
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bildung des gesamten Finnischen Meerbusens überhaupt. Die Festeisdecken der östlichen Küstengebiete sind dann
wieder als weniger hinderlich anzusprechen, da in ihnen eine Eisbrecherhilfe effektiver ist. Selbst wenn also die
absolute Bezwingung auch der größten Packeismassen kein Problem mehr ist, so ist damit keineswegs eine freie
Passage für die Schiffahrt erreicht. Wirtschaftlich von Bedeutung kann die Eisbrecherhilfe nur dann sein, wenn
eine entsprechend große Anzahl von Schiffen in einem kürzeren Zeitraum hinein und wieder hinaus geleitet
werden kann. Dies ist aber nicht der Fall, selbst in normalen oder sogar milden W'intern besteht der Packeis
gürtel östlich von Hogland fort. Schiffe, die nicht für Eisfahrt gebaut sind, also keine verstärkten Schiffswände
besitzen und keine entsprechende Bugform aufweisen, sind dem Eis gegenüber machtlos. Selbst Kriegsschiffe,
bei denen stärkere Panzerplatten auch stärkeren Widerstand bieten, können sich zufolge ihrer Größe und spitzen
Bugform nur schwer im Eis bewegen, jedenfalls in Packeis. Die Erfahrungen mit den 1928/29 in der südlichen
Ostsee zur Hilfe eingesetzten Kriegsschiffen bestätigen dies in mehreren Fällen. Die strategische Bedeutung eines
Packeisgürtels von einer Breite, wie sie bei Hogland entwickelt ist, ist deshalb auch im modernen Zeitalter nicht
zu unterschätzen. Es liegt nach dem Gesagten auf der Hand, daß folgende wichtige Eigenschaften der Kriegsschiffe
illusorisch werden: schnelle Fahrt, große Beweglichkeit. Bei der Entwicklung des Flugwesens sind diese Nach
teile weit bedeutender geworden, als die Vorteile durch die erfolgreichere Arbeit der Eisbrecher. Für seinen Holz
handel wirkt sich die Absperrung Leningrads wirtschaftlich ganz besonders aus.
Aber mit der Querung des Packeisgebietes bei Hogland ist die Schiffahrt nur in den seltensten Fällen wirklich
frei. In normalen Wintern schließt sich westwärts ein mehr oder weniger langgestreckter Treibeisgürtel an, der
mit den wechselnden Winden überlagert wird. Die Schiffahrt kann darum nicht regelmäßig hier auf gleich
bleibende Eisverhältnisse rechnen. Selbst wenn westlich von Hogland nur loses Eis liegt, das den Handelsschiffen
nur wenig Widerstand entgegensetzt, kann sich das während der Weiterfahrt nach Westen wesentlich ändern. Da
auch der mittlere Teil des Finnischen Meerbusens mehrfach völlig mit Treibeis bedeckt ist, ergeben sich somit
für die Schiffahrt hier unsichere Fahrtbedingungen. Treibeis, das ja auch aus großen Packeisschollen bestehen
kann, die von dem Küsteneisrand abgebrochen sind, setzt den Schiffen bei starkem Wind arg zu. Die Pressungen
sind bei großer Eisdichte erheblich, besonders bei ebenflächigem Eis. Arnold-Alabieff schreibt (Lit. Nr. 106,
S. 63): „Von Interesse ist, daß ebenes Eis, sogar bei nicht sehr bedeutender Mächtigkeit, für Schiffe, welche für
die Eisfahrt nicht geeignet sind, am gefährlichsten ist. Die Spannungen erreichen in diesem Eise höhere Größen
als in der Packeisdecke, deren Zusammenpressen meistenteils auf Kosten der in ihm vorhandenen Zwischenräume
geschieht. Außerdem wird der Bruch selbst wesentlich durch die ordnungslose Lagerung der Eisschollen er
leichtert. — Die Zusammenpressung des Eises kann im Schiffe selbst Spannungen bewirken, die die Festigkeit
der modernen Handelsschiffe mehrfach übertreffen. Beziehen wir den Druck einer ebenen Eisdecke, die sich dicht
an die Außenwand des Schiffes anschmiegt, auf ein laufendes Meter längs der Wasserlinie, so werden wir mit
extremen Werten zu tun haben, die nach Angaben über den zeitweiligen Druckwiderstand des Eises in der Ostsee
einige zehn Tonnen betragen. — Eine annähernde Berechnung zeigt, daß der Grenzdruck des Eises auf die Schiffs
seite in Tonnen, auf ein laufendes Meter längs der Wasserlinie bezogen, bei geringem, ständigen Frost 1 bis 1,5
der in cm gemessenen Eisdicke beträgt. Mit zunehmendem Frost kann der Grenzdruck eine Größe erreichen, bei
der die Anzahl der Tonnen doppelt so groß wird wie die Eisstärke in cm.“
Arnold-Alabieff weist in diesem Zusammenhang auf die Havarie der „Götaelf“ am 13. März 1929 hin
(vgl. auch J. Richter, Die Eisverhältnisse der südlichen Ostsee und Beltsee im Winter 1928/29, Hamburg 1935),
bei der die Schiffsseiten längs der Wasserlinie eingebogen wurden, das Eis sogar in das Schilfsinnere eindrang
und das Deck herausgebogen wurde, die Wanten zerrissen. Das Schiff sank auf Grund dieses Eisschadens inner
halb von 20 Minuten.
Bei den finnischen Häfen nimmt die Periode, während der die Schiffahrt geschlossen bleiben muß, von
Westen nach Osten zu, so daß Wiborg am längsten auf Schiffsverbindung verzichten muß. Da jedoch der Eis
gürtel vor der finnischen Küste nicht so breit ist wie etwa vor Leningrad und die Möglichkeit, schnell in gün
stiges Fahrwasser zu gelangen, relativ groß ist, wird die Schiffahrt lange mit Eisbrecherhilfe forciert. Finnland
verfügt über eine größere Zahl kräftiger Eisbrecher, die zu Beginn und zum Schluß der Vereisung eingesetzt
werden. Während die Schiffahrt bei Wiborg wegen der großen Eismengen im östlichen Finnischen Meerbusen
am längsten geschlossen bleibt, wird schon bei Kotka ungleich länger, als seiner gegenüber Wiborg westlicheren
Lage entspricht, die Schiffahrt offen gehalten. Wenn im Frühjahr schweres Eistreiben von Osten einsetzt, dann
werden mitunter die Fahrwege innerhalb der Schären aufgebrochen, die im ruhigen Festeis liegen. Helsinki bleibt
nur kürzere Zeit (1—2 Monate) unzugänglich.