Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens
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10. Die Pforte des Rigaischen Meerbusens.
Die Meerenge von Irben, die zwischen Ösel und Kap Domesnäs den Rigaischen Meerbusen mit der Ost
see verbindet, ist hydrographisch ebenso wie hinsichtlich der Eisverhältnisse von Bedeutung. Sie stellt den ein-
eigen effektiven Ausgang des Rigaischen Meerbusens dar.
Die Eisbildung beginnt am frühesten, etwa im Dezember, in den dem Rigabusen zugewandten Küsten
gewässern. Dort bildet sich zunächst nur ein mehr oder weniger breiter Küstenfesteisgürtel. Seine Breite ist
östlich der Halbinsel Zerel wegen deren weit vorgeschobener Lage am größten. Der Küsteneisgürtel reicht
nicht weit in die freie See der Meerenge hinein vor, da dort die Strömungen zu stark sind und das Küsteneis
peripher durch Abbruch dauernd zurückhalten. Die Bildung von Treibeis vollzieht sich also erst nach Aus
bildung des Küstenfesteises, und dem entsprechend auch intensiver an der nördlichen Küste als an der lettischen.
Während sich also der Festeissaum nach Erreichen einer maximalen Ausdehnung ziemlich konstant ver
hält, was das Areal betrifft, so erfahren die Eisverhältnisse des verbleibenden Fahrwassers eine weitere Ver
änderung. Wenn treibendes Eis früh in der Irbenstraße festgerät, so ist dies von erschwerendem Einfluß auf die
Vereisung des ganzen Rigabusens. „Die Befahrung des Rigabusens ist in erster Linie abhängig von den Eisver
hältnissen in der Irbenstraße.“ (Lit. Nr. 41, S. 136.) Im Hochwinter überzieht sich fast regelmäßig die Irbenstraße
für eine kurze Zeit mit festgefrorenem Eis, das infolge seiner Zusammenschiebung sehr inhomogen, aber ziemlich
stabil ist. Sogar der Verkehr mit Pferden soll dann zwischen Ösel und dem Festland möglich sein (1892/93
nach Lit. Nr. 41, S. 136).
Da die Eisdecke von Westen her leicht sowohl vom Wind sowie von der Strömung aufgebrochen werden
kann, wird sich die Vereisung sehr wechselhaft gestalten und plötzlicher Festwerdung des Eises kann schnelle
Enteisung, mitten im Winter, folgen. Relativ günstiger gestellt ist innerhalb des ganzen Eisgebietes der südliche
Teil bei Kap Domesnäs, und dort wieder das südwestliche Küstengebiet, das schon stark von der Ostsee her be
einflußt wird. Zudem vollzieht sich hier eine einwärts gerichtete Wasserversetzung, deren wärmere Wassermengen
einer Vereisung hinderlich sind.
Im nördlichen Teil der Meerenge ist die Strömung nach außen gerichtet. Dies bewirkt im Winter einen
Eistransport nach der Ostsee, der nach Passieren der Landspitze von Zerel nach Norden umbiegt. Darum können
sich durch Stau im Westen der Halbinsel Zerel größere Eismengen ansammeln, die jedoch nicht autochthon sind.
Auffallend ist die Verstärkung der Vereisung in den Wintern nach 1929, die aus dem Diagramm für Zerel-Westsee
ersichtlich ist, obwohl gerade diese Winter sich vielerorts als mild erwiesen haben. Nach Slaucitajs (Lit. Nr. 99,
S. 8) betrugen die Summen der negativen Tagesmittel der Temperaturen für den ganzen Winter 1934/35: 440°,
1933/34: 410°, 1932/33: 400°, 1931/32: 500°, 1930/31: 580°; dagegen wiesen strenge Winter, bei denen
an allen anderen Stationen eine größere Eisintensität zu beobachten gewesen ist, eine Frostsumme von minde
stens 700° auf. (Nach Temperaturen in Riga!) Es ist möglich und wurde bei Besprechung des betreffenden Dia
gramms schon angedeutet, daß diese auffallende Tatsache einer Verschärfung der Vereisung gar nicht mit
meteorologischen, sondern mit hydrographischen Veränderungen zusammenhängt. Eine geringfügige Intensivie
rung des eingehenden sowie des ausgehenden Stromes würde genügen, die Eisdrift im nördlichen Teil zu ver
stärken und dementsprechend auch den Ostseestrom etwas weiter nach Westen von der Küste abzudrängen, so daß
sich nahe der Westküste in einem von Strömungen umgangenen Gebiet das Eis ansammeln kann. Inwieweit diese
Vermutung zutrifft, entzieht sich meiner Kenntnis, da geeignete hydrographische Messungen nicht zugänglich
waren. Es wäre jedenfalls eine dankbare Aufgabe, Schwankungen der Strömungsintensität in mehrjähriger Periode
hier zu untersuchen.
Die Enteisung stellt den nördlichen Teil der Meerenge wieder besonders ungünstig, da dann die Eismassen
des gesamten Rigabusens ihren Weg nach außen durch diesen Ausgang nehmen, sofern sie nicht vorher schmelzen.
Nördliche Winde drängen das Eis mitunter auch an die lettische Küste, wo dann Domesnäs plötzliche Eis
erschwerungen meldet, die nur durch Drift erklärbar sind. Es kommt auch vor, daß bei dieser Windrichtung
das Treibeis südwärts bis vor Windau treibt. Dort wird es rasch ein Opfer der Wasserwärme. Auch bei seiner
normalen Abdrift nach Norden bis in die Gegend von Filsand gelangt es nicht weit, sondern verstreut sich
schnell und schmilzt. Es kommt in strengen Wintern vor, daß noch im Mai Treibeis bei Zerel vorbeidriftet,
lange nachdem das letzte Küstenfesteis in den dem Rigabusen zugewandten Küsten weg ist.
11. Die Westküste Lettlands.
Das Eisgebiet der Westküste Lettlands rechnen wir von Papensee im Süden über Libau und Windau bis
zum Leuchtturm Lyserort. Es untersteht hydrographisch vollkommen dem Regime der offenen Ostsee, die mit