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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 58. Band, Nr. 3
5. Die Nordwestküste der estnischen Inseln.
Das Eisgebiet V umfaßt das Küstengebiet von Zerel nordwärts an der Ostseeküste der Inseln Ösel und Dagö
vorbei bis zur Nordküste von Dagö. Bei Odinsholm stößt dieses Gebiet mit dem Seebereich des Eisgebietes IV
zusammen. Die Vereisung ist gekennzeichnet durch leichte Eisverhältnisse, die nur eine sporadische Eisbildung
zeigen. Eis tritt eigentlich nur an der Küste selbst auf, wo es sich bei relativ stillem Frostwetter in Form leichten
Festeises bilden kann. Die Monate größter Eiswahrscheinlichkeit sind Februar—März.
Während an den Küsten selbst leichtes Festeis auftreten kann, ist das Seegebiet meist eisfrei. Das Küsten
eis wird öfters abgebrochen und verschwindet bald in der See, wo es jedoch zu keinem nennenswerten Eistreiben
kommt. Nur im Frühjahr kann sich entlang der Nordküste von Dagö zeitweilig ein Eistreiben in See entwickeln,
wenn die Eismassen des Finnischen Meerbusens südlichere Wege einschlagen. Jedoch ist der Wärmevorrat des
Seegebietes, das ja in freier Verbindung mit der Gotlandmulde steht, den ganzen Winter über so groß und wird
dauernd erneuert, daß sich dort keine Eisbildung vollzieht und auch herangetriebenes Eis nicht lange halten kann.
Die See im Nordwesten der Insel Dagö ist daher als das eigentliche Zehrgebiet des aus dem Finnenbusen und von
der Küste der Inseln stammenden Treibeises zu betrachten, ebenso wie es die tiefen Seegebiete bei Landsort für
die Eismengen des Bottnischen Busens sind.
6. Die Inselschelfsee.
Die Gewässer zwischen den Inseln Worms, Dagö, Ösel und Moon und dem estnischen Festlande seien hier
unter dem Namen der Inselschelfsee als besonderes Eisgebiet zusammengefaßt. Der Begriff des Schelfes wird
natürlich hier relativ zu dem Becken der Ostsee und des Rigabusens gebraucht, er umfaßt auch noch den Küsten
streifen südlich Ösels, der an den Rigabusen angrenzt.
Die Vereisung dieses Gebietes wird noch von starker Festeisbildung beherrscht, jedoch tritt in den küsten
ferneren Teilen der Sunde häufig Treibeis auf, das zum Teil sogar schwere Formen annehmen kann. Die geschützte
Lage zu den Meeresströmungen der Ostsee, aber die offene Lage zu den Stürmen aus Westen bedingen eine un
ruhige, aber intensive Vereisung der Sunde. Das Eis, das nicht ohne Hindernisse aus dem Gebiet hinausgelangen
kann, staut sich und füllt die von den im Herbst vorwachsenden Küsteneissäumen freigelassenen Mittelstreifen der
Sunde. Die Eissäume bilden sich zuerst an der festländischen Küste, danach auch an den Innenküsten der Inseln.
Etwa im Dezember ist die Festeisbildung überall in Gang gekommen, von diesem Zeitpunkt an beginnt dann
auch, vornehmlich durch Abbruch von Küsteneis, die Bedeckung der mittleren Gebiete der Sunde mit Treibeis.
Das Eisgebiet VI ist jedoch nicht gänzlich ohne Ausgänge. Vielmehr bestehen strömungsreichere Auslässe
an Worms vorbei nach Norden, bei Paternoster—Kübassaar nach Süden sowie bei Emmaste nach Westen. Der
Moonsund bei Worms ist durch das von Süden kommende Treibeis ebenfalls sehr bald eisgefüllt und weist sogar
sehr oft eine Decke zusammengefrorenen unregelmäßigen Eises auf, wenn die benachbarten östlichen und westlichen
Küsten noch keine Eisbildung aufzuweisen haben. Die aus dem Sunde stammenden Eismassen lösen sich weiter
nördlich und nordöstlich bald in dem tieferen Gewässer mit seinem wärmeren nordbaltischen Wasser auf. Eine
Beeinflussung des Gebietes bei Pakerort durch treibendes Eis aus dem Wormssund ist vielfach nachweisbar. Dank
der Konstanz der Wasserversetzung in den Finnischen Meerbusen hinein, so%vie der durch Tahkona von den Ein
flüssen der Ostsee weitgehend geschützten Lage, findet eine Wasserversetzung von Norden her in den Sund bei
Worms hinein nicht statt. Jedenfalls finden sich keine Anhaltspunkte für eine solche Annahme.
Die Meerenge bei Emmaste (der Soel Sund) scheint schon eher von den Einflüssen der Ostseeströmungen
berührt zu werden. Der Lage entsprechend können bei starken auflandigen westlichen Winden auch nordbaltische
Wasser den Weg durch den Sund nehmen und die dortigen Eisverhältnisse beeinflussen. Dementsprechend sind die
Eisverhältnisse hier wechselvoller als in den übrigen Sunden. — Der Moonsund funktioniert schließlich nur als
sekundärer Auslaß des Rigaischen Meerbusens. In den küstenferneren Teilen ist Treibeis eine konstante Erschei
nung, es kann also kein strömungsarmes Gewässer sein. Das Küstenfesteis erreicht hier jedoch eine beachtliche
Stärke, so daß auch das Treibeis entsprechend stärker ist. Die Enge der Straße bedingt intensive Eisverschiebungen
und Packungen. Ostsee-Einflüsse sind jedoch hier nicht mehr zu finden. Vielmehr sendet der Rigabusen bei gün
stigem Winde, durch die Stromversetzung begünstigt, zusätzliche Eismengen in den Moonsund, der dementsprechend
für die Schiffahrt schwer passierbar und erst spät wieder fahrbar ist.
Die Enteisung vollzieht sich im April, und zwar im nördlichen Teile etwas eher als im südlichen Moon
sund, der noch unter dem Einfluß des abtreibenden Eises des nordöstlichen Rigaischen Meerbusens länger Eis