Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens
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X. Die Eisgebiete.
Bei der Besprechung der Tabellen der Eiswahrscheinlichkeit nach Monatsdekaden wurden die verschiedenen
Beobachtungsstationen einzelnen Eisgebieten zugewiesen. Bei der Abgrenzung wurde verschiedentlich vorweg
greifend der Charakter der Vereisung, wie er aus den Wahrscheinlichkeitswerten allein nicht abzulesen ist, berück
sichtigt. In den folgenden Abschnitten werden diese Eisgebiete einzeln näher besprochen unter Verwendung alles
erreichbaren Materials, nicht nur der in diesen Untersuchungen verarbeiteten Statistiken.
Die Gründe für die Abgrenzung der Eisgebiete in dem und dem Falle werden jeweils bei den betreffenden
Regionen erörtert. Hier soll nur einleitend das Mosaik der einzelnen aneinandergrenzenden Gebiete dargestellt
werden. Der Ladoga See wird hier erstmalig besonders behandelt, soweit er für die Eisverhältnisse des östlichen
Finnischen Meerbusens von Bedeutung ist. Eine erschöpfende Darstellung der Eisverhältnisse dieses Binnensees ist
nicht beabsichtigt, da sie auch nicht zum Thema gehört. Infolgedessen ist er auch in keiner Weise durch Eisdia
gramme vertreten. Die Behandlung kann sich auf die im Zusammenhang mit der Vereisung des östlichen Finni
schen Meerbusens, insbesondere dessen Enteisung, sich ergebenden Beziehungen beschränken.
Die Gliederung des Gesamtarbeitsgebiets sieht die folgenden Eisgebiete vor:
1. Östlicher Teil des Finnischen Meerbusens; Anhang zu 1: Ladoga See, — 2. Finnische Südküste, — 3.
Schärenmeer, — 4. Nordküste Estlands, — 5. Nordwestküste der estländischen Inseln, — 6. die Inselschelfsee, —
7. die Buchten von Hapsal und Pernau, — 8. Nordostteil des Rigaischen Meerbusens, — 9. Südwestteil des Rigai
schen Meerbusens, — 10. die Pforte des Rigaischen Meerbusens, — 11. Westküste Lettlands. Das mittlere Seegebiet
des westlichen Finnischen Meerbusens wurde nicht als besonderes Eisgebiet ausgeschieden, sondern bei den jewei
ligen Küstensäumen mit ihren peripheren Seebereichen mit behandelt. Im übrigen vergleiche die Karte II.
1. Der östliche Finnische Meerbusen.
Das Eisgebiet des östlichen Finnischen Meerbusens wird nach Westen zu begrenzt durch die Insel Hogland
und eine von hier nach Nordwesten und Südosten verlaufende Linie, die an der finnischen Küste zwischen Kotka
und Lovisa und an der estnischen zwischen Hungerburg und Purtse ansetzt. Das Eisgebiet kann untergeteilt werden
in einen Küstenbereich (Ia) und das küstenfernere Seegebiet (Ib), die jedoch beide zusammen den westlicheren
Gebieten gegenüber eine wohlabgegrenzte Einheit bilden.
Die Eisbildung beginnt relativ früh, bereits im Oktober zeigt sich in den Buchten von Wiborg und zwischen
Kronstadt und Leningrad leichtes Eis. Während das Eis bei Wiborg von Anfang an den Charakter ruhigen Fest
eises hat, bedingt die Strömung der Newa bei Leningrad die Bildung von Treibeis. Da der Ladoga See mitunter
an den Küsten etwas frühere Eisbildung aufweist, bringt die Newa selbst das erste Eis mit, das naturgemäß als
Treibeis sich im Seegebiet von Kronstadt verteilt. Unter dem Einfluß der kontinentalen Temperaturverhältnisse
und der geschützten Lage wächst die Eisdecke rasch seewärts vor, und die Bucht von Leningrad überzieht sich mit
einer Festeisdecke genau wie bei Wiborg. Bei Leningrad vollzieht sich die Bildung des Festeises Ende Oktober bis
Mitte November, dieses Datum ist aber wie gesagt keineswegs identisch mit dem ersten Erscheinen von Eis. Im
Dezember ist das flache Küstenbereich völlig vereist, und die Vereisung ergreift mit Treibeis auch das Seegebiet
bis Hogland, das Ende Dezember bis Mitte Januar (nach dem Dampferhandbuch 1931) vereist ist. Die Eismassen
östlich von Hogland stauen sich zufolge des durchschnittlich ausgehenden Stromes, aber bei entgegengesetztem
Winde, vielfach so, daß sie in Form beachtlicher Packeisberge von 7—10 m Überwasserhöhe auf flachen Gründen
der Hoglandschwelle festsitzen und dementsprechend die Bildung groben Packeises im Osten noch begünstigen.
Die Eisverhältnisse des Seegebietes zwischen Hogland und dem Küstenfesteissaum sind die schwersten des ganzen
Untersuchungsgebietes. Die vorwiegend südlichen Winde bedingen keine wirksame Abdrift, selbst östliche Winde
vermögen dies nicht wegen der von Süden und Norden kulissenartig vorspringenden Halbinseln und flachen Riffe.
Die Eispressungen sind dementsprechend besonders intensiv, und die Katastrophen vom Dezember 1921 zeigen, daß
in diesem Eise sogar die starken russischen Eisbrecher machtlos waren. Damals wurden von einem Eisfahrt
konvoi folgende Schiffe bei aufkommendem NO-Sturm beschädigt: Eisbrecher „Lenin“ geriet bei Kurgalski Riff
auf Grund, schwerer Bodenschaden, Backbordschraube abgeschlagen, viel Wasser im Schiff, — Eisbrecher „Truvor“
mit Maschinenschaden schwer havariert, — Dampfer „Trotzki“ auf Grund geraten, — Dampfer „Amot“ sinkend,
— Seeschlepper „Arbeit“ Steuerbordschraube und Ruder beschädigt, -— Dampfer „Rhein“ gesunken, — Dampfer
„Arcos“ mit schwer beschädigtem Steven, Bug und Heck, viel Wasser im Schiff. Selbst der 10 000 PS Normal