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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 58. Band, Nr. 3
abgesehen, in oft rascher Folge ein. Das Fehlen des schweren Packeises scheint mir daran zu liegen, daß hier die
aus Westen und Südwesten kommenden Meeresströmungen doch so wirksam sind, daß sie nicht nur das Eis oft
in Bewegung bringen, sondern auch intensive Packungen verhindern. Es kommt hier die topographische Lage
hinzu, die der des Winkels von Haynasch—Pernau gegenübersteht: hier freies Wasser an drei Seiten, dort eine
Bucht mit Land an drei Seiten, in der Pressungen häufig auftreten, — hier vorwiegend Ostseeeinfluß, dort Ein
fluß von dem kontinentalen Kältegebiet her.
Die schweren Eisarten wie Packeis und schweres Treibeis sowie starkes Festeis wiegen doch bei weitem
vor. Das ist nur erklärbar durch die Tatsache, daß sich die Enteisung des Rigaischen Meerbusens durch die
Pforte von Domesnäs vollzieht, wobei die Haupteismengen in der Hauptsache von Nordosten kommen und z. T.
in den im Süden einwärts verlaufenden, schwach ausgebildeten Zweig des Ostseestromes einbezogen werden. Die
ausgehende Strömung bringt zeitweise große Eismengen aus dem Rigaischen Meerbusen mit sich, die vor der
Landspitze von Domesnäs gestaut werden oder festfrieren.
Der mittlere Eisbeginn fällt in den Januar, und zwar in die Mitte des Monats. Die Schwankungen sind im
ganzen gesehen nicht sehr groß, sogar geringer als zur Zeit der Enteisung, wie ein Blick auf die vier Diagramme
lehrt. Die Ursache dieser Umkehr der bei den anderen Stationen gewohnten Verhältnisse scheint mir im folgenden
zu liegen: Die Gewässer um Domesnäs gelangen erst spät zur Eisreife (Mitte Januar), hauptsächlich infolge des
Einflusses des wärmeren und salzigeren Ostseewassers. Dieser lange Vorgang gleicht die Unterschiede der ver
schieden spät einsetzenden Frostperioden in den einzelnen Jahren aus. Die fast stets zu erwartenden Kaltluft-
vorstöße im Januar werden ziemlich regelmäßig zur Eisbildung führen, die damit also als autochthon zu be
zeichnen wäre. Mim kann das auch einfach so ausdrücken, daß durch die notwendigerweise lang anhaltende Kon
vektion in dem freien, oft erneuerten Meerwasser die frühen Starkfröste eisunwirksam sind und jede Eisbildung
damit unterbleibt. Soweit wären diese Verhältnisse auch andernorts möglich und sind ja auch nachweisbar (vgl.
z. B. Odinsholm). Das, was die Eisverhältnisse aber im Verlaufe des Winters modifiziert, ist die südlichere Lage
gegenüber Stationen des Finnischen Meerbusens. Im März schon machen sich hier verstärkt sowohl hydrogra
phische wie klimatische Einflüsse von S her geltend: das wärmere Ostseewasser der südlicheren Gebiete, das
hier nordwärts strömt, ferner die stärkere Insolation in diesen niedrigeren Breiten. Kombiniert man diese mit
den topographischen Einwirkungen, die eine Beweglichkeit des Eises und Abhängigkeit von der Windrichtung
sehr begünstigen, so gelangt man zum Verständnis der Erscheinung außerordentlich wechselhafter Eisverhältnisse.
Wenn die mechanischen Faktoren zu einer Abdrift des Eises in die Ostsee führen, dann kann es, namentlich im
SW, für eine neue Beeisung jahreszeitlich bereits zu spät sein. Diese Folgerungen tragen zum Verständnis des
Klimarhythmusses ebenso wie der Grundzüge der verwickelten Eisverhältnisse von Domesnäs bei. Daß im ein
zelnen auch zur Zeit der autochthonen Eisbildung im Hochwinter (Januar—Februar) mechanische Einflüsse sich
so beherrschend bemerkbar machen können, daß sie zu völliger Eisfreiheit führen können, ist klar. Die Einzel
fälle aus der Witterung heraus zu untersuchen, läßt sich nicht durchführen, da wir nicht über die hier besonders
wichtigen örtlichen Witterungsbeobachtungen parallel zu den gleichzeitigen Eisbeobachtungen verfügen; sie allein
könnten ausreichen, um Detailuntersuchungen fruchtbar zu gestalten. Man ist also nur in der Lage, den allgemeinen
Gang festzustellen.
Die beiden extrem milden Winter fallen auch hier aus dem Rahmen. Von ihnen abgesehen stellen sich
die absoluten Extreme der Be- und Enteisung für Domesnäs in den 10 Berichtsjahren wie folgt:
Beeisung 17. 12. bzw. 8. 2. = 50 Tage Schwankung
Enteisung 15. 5. bzw. 6. 3. = 70 Tage Schwankung.
Es wurde schon erwähnt, daß die südwestlichen Eisgebiete mildere Zustände aufweisen können, wesentlich
auf Grund der hydrographischen Bedingungen. So war der Winter 1923/24, der in den drei übrigen Sektoren eine
geschlossene Festeisperiode aufwies, hier durch mehrere Treibeisperioden unterbrochen. Ebenso war der Winter
1925/26 im Gegensatz zu den drei übrigen Sektoren in mehrere kleinere Perioden aufgelöst, ohne das sonst vor
herrschende starke Festeis und Packeis. Andererseits ist zu Beginn der Vereisung im SW leichtes Festeis häufiger,
sogar zeitweise früher als anderswo bei Domesnäs, z. B. 1927/28, 1928/29. Die Ursache dafür ist darin zu suchen,
daß ähnlich wie bei Köpu vor der Küste südwestlich von Domesnäs der Ostseestrom in einigem Abstande von der
Küste in Verlauf seiner bisherigen nördlichen Richtung weiterströmt. Vor ihm bzw. dem schwach ausgebildeten
Zweig, der in den Rigabusen einbiegt, bildet sich vor der genannten Küste ein Stillwassergebiet, das bei ent
sprechendem Frost leicht zur Bildung von leichtem Neueis neigt. Der nordwestliche Sektor bildet einen Über
gang zu den östlichen Meeresgebieten. Der Schluß der Vereisung liegt im Durchschnitt früher, d. h. Nacheis
perioden, die in den übrigen Sektoren auftreten, sind hier kürzer oder fehlen ganz, die eisfreien Lücken sind
größer. Das hängt damit zusammen, daß das Eis des Rigabusens mehr nach Nordwesten verfrachtet wird, und