Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens
73
38. Die Eisverhältnisse von Kynö.
Kynö (Kihnu) liegt im Nordostteil des Rigabusens vor der Bucht von Pernau. Die Insel liegt frei in insel
freier Umgebung. Die Eisverhältnisse zeigen große Schwankungen und gestatten daher nicht die Aufstellung
praktisch verwertbarer Mittelwerte.
Die erste Eisbildung tritt sehr früh auf, und auch in den letzten Jahren ist von keiner Verspätung des Eis
beginns zu reden. Hinsichtlich des durch die Extremdaten gegebenen zeitlichen Rahmens der Vereisung gehört
Kihnu zu den Stationen mit längster Vereisungsdauer und übertrifft sogar Hapsal und Pernau, denen eine weit
geschütztere Lage zugute kommt. Da aber die Anfangsperiode der Vereisung in den meisten Jahren wechselhaft
ist und sich durch zahlreiche Vorperioden auszeichnet, wird keineswegs das Bild einer Vereisung kontinentalen
Charakters hervorgerufen. Hinzu kommt, daß Treibeis vorherrscht und nur in einzelnen Wintern von horizont
weitem Festeis abgelöst wird. Bei der freien, seewärtigen Lage ist der Einfluß von Meeresströmungen ohne wei
teres gegeben. Die Eisbildung selbst scheint aber trotzdem sehr früh möglich zu sein. Im Winter 1926/27 wurde
sogar bereits am 2. November Treibeis registriert, überhaupt ist in fünf Jahren schon im November Eisbildung
beobachtet worden, die allerdings nur einmal zu der Hauptvereisung führte (1933/34).
Die Vorperioden bestehen in der Hauptsache aus Treibeis, z. T. mit einem Küstenfesteisgürtel an wenigen
Tagen, ja, es kam sogar vor, daß eine eintägige Vorperiode ausschließlich aus Festeis bestand. Die Tatsache, daß
die Vereisung absolut recht früh einsetzt, beruht wohl eher auf dem Herantreiben von Eis, das sich an den Küsten
gebildet hat, denn gegenüber den flachen und geschützten Küstengewässern ist das Gebiet um Kihnu natürlich im
Nachteil. Im übrigen ist den Strömungen der Hauptanteil an der Aufrechterhaltung unruhiger Eisverhältnisse zuzu
schreiben. Sie führen dazu, daß sich Festeis nur schwer bilden kann, und daß Treibeis mitunter wieder ganz
verschwindet.
Der Beginn der Hauptvereisung, die in jedem Winter leicht auszuscheiden ist, schwankt ebenso sehr wie
der Eisbeginn überhaupt. Dabei wird der Beginn der Hauptvereisung mitunter verwischt durch den Hinzutritt von
Treibeis, das über den Eintritt des Hochwinters absolut nichts auszusagen braucht. So begann der Winter 1931/32
mit vier Treibeisperioden ohne jede Festeisbildung überhaupt. Die Hauptvereisung setzte darauf ebenfalls mit
Treibeis ein. Abgesehen vom 1. Januar, an dem sich an der Küste Festeis gebildet hatte, herrschte das Treibeis
ununterbrochen bis zum 10. Februar, an welchem Tage die Festvereisung endgültig einsetzte, zunächst mit einem
Tage weit ausgedehnten Festeises, danach mit Küstenfesteis. Es ist dabei zu bemerken, daß die Tragfähigkeit des
Treibeises gering war und erst wenige Tage vor dem Festwerden erreichte das Treibeis Gangstärke und Fahrbar
keit. Der eigentliche Beginn der Hauptvereisung ist also erst auf Anfang Februar zu setzen, während das Treibeis
zuvor, ob nun mit oder, wie noch weiter vorher, ohne Verbindung mit der Haupteisperiode, Bewegungsgesetzen
folgt, die nicht in unmittelbarer Beziehung zu den Frostsummen an Ort und Stelle stehen.
Diesem Winter mit seiner frühen Beeisung (21. November), aber relativ späten Hauptvereisung (Anfang
Februar), steht der Winter 1933/34 gegenüber, als bereits am 15. November die erste Eisbildung zu der ein
zigen und endgültigen Vereisung werden sollte. Dabei trat bereits nach fünf Tagen Treibeis Küstenfesteis auf,
das zwar erst noch schwach war, aber die Kontinuität wahrte. Dieser Winter schloß dann ziemlich abrupt früher
als durchschnittlich am 23. April. Die Periode der Gangbarkeit und Fahrbarkeit setzte Ende Dezember ein und
währte bis zum Ende März. Damit ist sie ungefähr dem Durchschnitt entsprechend, der mangels genauer Beob
achtungen in den ersten Jahren schwer genau zu schätzen ist, höchstens aus der übrigen Beschaffenheit und Aus
dehnung des Eises angenähert bestimmt werden kann.
Zeigen die Winter, was die Dauer betrifft, in den letzten Jahren keine Tendenz zur Verkürzung, so prägt
sich in dem völligen Ausbleiben ausgedehnteren Festeises seit dem Winter 1931/32 eine erhebliche Milderung
aus. Der Küstenfesteisgürtel, der sich wie auch in anderen Jahren zu normaler Zeit herausgebildet hatte, wuchs
in keiner Frostperiode soweit seewärts, daß er die See bis zum Gesichtskreis bedeckt hätte. Es ist sogar in den
letzten Jahren nur ganz selten vorgekommen, daß Festeis ausschließlich vorhanden war. Vielmehr fand sich so
wohl 1932/33 wie auch 1934/35 Treibeis kontinuierlich vom ersten Auftreten bis zum Verschwinden.
Nach den 12 Berichtsjahren zu urteilen, scheint es für den Eisbeginn typisch zu sein, daß sich die erste
Eisbildung in Form von Vorperioden bemerkbar macht, die mitunter nur aus Treibeis bestehen. Der Winter
1924/25 bestand sogar nur aus einzelnen kurzen Eisperioden, von denen es schwer ist, die eigentliche Haupt
vereisung zu bestimmen. Der Intensität nach wäre die erste Ende Februar eingetretene ötägige Vereisung als solche
zu bezeichnen. Der Länge nach müßte aber die Periode vom 13. bis 27. März als Hauptvereisung zu bezeichnen
sein. Die fünf übrigen Perioden waren zu kurz und gleichzeitig zu schwach, um dafür in Frage zu kommen. Da