Dr. Joachim Blüthgen: Die Eisverhältnisse des Finnischen und Rigaischen Meerbusens
31
lief die Enteisung im letzten Berichtsjahr. Positive Temperaturen traten endgültig am 7. 4. ein und hielten mit
Ausnahme des 16. 4. an. Die Eisfreiheit trat am 2. Mai ein, etwas vor dem durchschnittlichen Termin.
Zeigen also die einzelnen besprochenen Winter eine enge Abhängigkeit von Eis und Temperatur in den
Grenzen, die durch das Nachhinken des Eises gegenüber den Temperatureinwirkungen gezogen sind, so machen
sich andererseits Ausnahmen bemerkbar. Diese können in folgendem zusammengefaßt werden. Warme Sommer
schieben den Eisbeginn hinaus (z. B. 1928/29), frühe Frostzeiten bereiten das Wasser frühzeitig zur Eisreife vor,
ohne selbst schon eiswirksam zu sein. Die Abhängigkeit der Eisbildung von der Temperatur gilt also nur nach
bzw. bis zu einer bestimmten Datumsgrenze, nach bzw. vor welcher die Frostperioden eiswirksam sind. Das
gleiche gilt für die Wärmeperioden. Wie die Sommerwärme für den Eisbeginn, so ist die Eismenge für die Ent
eisung als modifizierender Faktor erkennbar (z. B. 1929/30). Verspätete Frostperioden zögern die Enteisung hin
aus (1922/23). Im einzelnen spielen plötzliche Winde und die örtliche Lage eine Rolle, die leider aus statisti
schem Material nicht genug erhellt.
Um Wiederholungen zu vermeiden, sei das finnische, im übrigen vorzügliche Material zu Ergänzungen
herangezogen bzw. zu Korrekturen, die bei einem so mit subjektiven Fehlerquellen behafteten Gegenstand sehr
nötig sind. Außerdem erfassen die finnischen Beobachtungen, wie schon erwähnt, nicht nur das Fahrwasser.
Die Stärkeangaben lassen erkennen, daß wärmere Perioden des Winters eine Abnahme der Eisstärke be
dingen, ohne daß dadurch immer eine Veränderung des Eischarakters gegeben ist. Diese Zahlen ergänzen unsere
Kenntnisse von den Eisverhältnissen Wiborgs während der Hauptvereisung, in der Eistyp (= starkes Festeis) und
Schiffahrtsverhältnisse (= geschlossen) gleichbleibend sind. Es zeigt sich, daß aber nicht alle Wärmezeiten von
Einfluß auf die Eisstärke sind, da vielfach eine Schneedecke zunächst das Festeis gegen direkte Temperaturein
wirkung schützt. Um so auffallender ist eine Stärkeabnahme ohne Schneedecke, wie sie 1931/32 im Januar ein
trat. Bei Temperaturen um Null nimmt das Eis von 43 cm auf 35 cm ab. Dabei ist zu berücksichtigen, daß
kürzere Wärmeperioden vorher, die regelrechtes Tauwetter brachten (Ende Dezember, Anfang Januar), die Eis
stärke nicht beeinflußten, da eine Schneedecke die Temperatureinwirkungen auffing. Dementsprechend wechselte
die Höhe der Schneedecke (20 cm, 10 cm, 10 cm, 15 cm, 3 cm, 0 cm), und erst nach dem Verschwinden des Schnees
wird das Eis selbst angegriffen. Es ist dabei zunächst festzustellen, daß beim Vorhandensein einer Schneedecke zwar
die Wärme mehr oder weniger von der Einwirkung ausgeschaltet wird, nicht aber danach in dem gleichen Grade
die Kälte. Ich sehe eine Erklärung dieses Verhaltens vor allem darin, daß bei Temperaturen über Null und Vor
handensein einer Schneedecke die Wärme zum Schmelzen des Schnees verbraucht wird und dem Eis nicht zugute
kommen kann. Dagegen wirkt die Kälte intensiver ein, denn bei nicht zu kräftigem Tauwetter sinkt der Schnee
langsam schmelzend zusammen; das freiwerdende Wasser verdunstet größtenteils und wiedereintretender Frost
findet darum auf dem Eise kaum Wasser vor, das seine Energie binden könnte. Das Resultat ist dann das, daß
eine Schneedecke wohl gegen (nicht zu hohe) Wärme schützt, weit weniger aber gegen darauffolgende Kälte.
Auf diese Weise ist bei der Stärke des Eises bei Wiborg der Verlauf der Zahlen für Schneedecke und Eisstärke
verständlich. Soweit diese Erklärung grundsätzlich richtig ist, trifft sie naturgemäß auch für andere Fälle und
Örtlichkeiten zu. Als entscheidender Faktor ist bei der Auswertung der Stärkezahlen für Schnee und Eis die
jederzeit stattfindende Verdunstung zu berücksichtigen, die die Schneedecke selbst bei schärfstem Frost, der ja meist
mit großer Lufttrockenheit einhergeht, vermindert, wenn nicht neuer Schneefall eintritt. Auch Insolation, die in
den Temperaturen der Wetterberichte nicht zum Ausdruck kommt, beeinflußt die Schneedecke. Dagegen nimmt
das Eis bei entsprechendem Frost ohne weiteres zu bis zu einer Grenze, die durch die Leitfähigkeit der Eisdecke
und die Wärmekapazität des unteren Wassers gegeben ist.
Das Maximum der Eisdicke (im Mittel 55—60 cm) liegt in Wiborg Mitte März. Die folgende Tabelle
gibt die Werte für einzelne Jahre. Zugleich zeigt sich, daß das Maximum mitunter längere Zeit anhält (1915/16
eineinhalb Monate), eine Eigenart, die zusammenfällt mit der Grundeigenschaft des Eises, gegenüber plötzlichen,
oder geringen, vorübergehenden Temperaturänderungen unempfindlich zu sein und einen Temperaturgang vorzu
täuschen, der in Wirklichkeit nicht im geringsten existiert. Daß der auflagernde Schnee dabei unterstützend mit
wirkt, wurde bereits erwähnt.
Jahr
Stärke in cm
Periode
1931/32
68
18. 3.—25. 3.
1930/31
78
20.3.
1929/30 (1. Max.)
40
27. 2.
1929/30 (2. Max.)
35
27.3.
1928/29
65
22. 2.— 1.3.