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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 57. Band, Nr. 9
die Seite des Schiffes, um sofort mit höchster Kraft wieder vorwärts zu gehen. Durch die starke Schrauben-
tätigkeit schiebt sich das losgebrochene Eis im Kielwasser erst in größerem Abstande (ca. 20 m) zusammen. Zu
gleicher Zeit versucht das feste Schiff mit höchster Kraft voranzukommen. Durch den Wind wird es in die in
Lee befindliche Eisbrecherrinne gedrückt, die Wasserwirbel des Eisbrechers lösen ihrerseits das Eis und saugen
es sodann in größerem Abstande in die Mitte der Rinne. Das Resultat aller dergestalt dirigierten Kräfte ist, daß
das Schiff seitlich in die Eishrecherrinne gedrückt wird, in der es in passendem Abstand dem Eisbrecher folgen
muß. In gröberem Eis, noch dazu bei Wind, bringt ein größerer Schiffsabstand sehr leicht eine Verstopfung der
Eisrinne und ein erneutes Festfahren mit. Das Manöver des Loseisens beginnt dann von neuem.
Das Kurshalten der nicht so wendigen Schiffe in der Rinne und in gleichem Abstande ist recht schwierig,
da ja auch der Eisbrecher bei wechselndem Eis verschieden schnell vorankommt. Im Bereich starker Eiswälle
ereignete es sich, daß „Ymer“ nur durch Krängen langsam vorwärtskam. Packeis verursacht beim Brechen an
dem gepanzerten (29 mm) Schiffsbug erhebliches Getöse, dazu kommt das Vibrieren und Dröhnen der auf
Höchstleistung stehenden Motoren, kurzum: in solchen Fällen hat man den stärksten Eindruck der „Kraftprobe“
zwischen dem Griff des Eises, auf das in seiner ganzen Erstreckung der Winddruck wirkt, — und dem Eisbrecher.
Ist die Eisrinne nur schwer offen zu halten, dann wird das nachfolgende Schiff ins Schlepp genommen
(Abb. 33): der Bug sitzt in einer Kerbe des Eisbrecherhecks. Die vorsichtige und sehr genaue Manövrierung
geschieht bei Rückwärtsfahrt von der Achterbrücke des Eisbrechers aus, die mit den gleichen Manöverappa
raten ausgerüstet ist. Bei Nebel, Schneetreiben oder nachts geschieht alles noch langsamer. Durch eine bestimmte
Scheinwerferstellung wird dem nachfolgenden Schiff der Kurs gewiesen.
Besondere Schwierigkeiten entstehen dann, wenn eine größere Anzahl von Schiffen im Eisbrecherkonvoi
hinausgeleitet werden (Abb. 34). Sitzt eines der Schiffe fest, dann müssen fast immer auch die noch folgenden
warten, während der Eisbrecher die noch flotten bis dahin geleitet, wo sie voraussichtlich mit eigener Kraft
weiter können. Kommt noch Nebel hinzu, wie dies einmal der Fall war, so geht sehr viel an Zeit verloren.
Man kann das Eis nicht übersehen; loses Eis braucht noch nicht das Ende der Eisschwierigkeiten zu bedeuten,
und der Eisbrecher ist gezwungen, bis zum offenen Wasser zu fahren und muß dann in Sichtweite, aber in
sicherem Abstande, abwarten, welche Schiffe nachfolgen und die Rinne passieren. Die zurückgebliebenen und
vermutlich festsitzenden Schiffe zu suchen ist bei derartigem Wetter sehr schwierig und erfordert große Vor
sicht. Anhaltspunkt ist natürlich die ehemalige Rinne, der der Eisbrecher zurückfolgt, bis die Hornsignale
beantwortet werden und das fehlende Schiff gefunden ist. Es ist deshalb zur Orientierung ebenso wie zur
leichteren Fahrt nötig, den gleichen Weg innezuhalten. Im übrigen ist natürlich die Fahrt nach Seekarte,
Kompaß und Echolot eine das Thema dieser Arbeit nicht berührende, rein nautische Angelegenheit.
Bei ruhigem Wetter und leichterem Eis kann das Loseisen eines festgefahrenen Schiffes auch einfach
durch ganz langsames Rückwärtsfahren bis dicht vor den Bug des zu befreienden Schiffes erfolgen, das solange
stoppen muß, bis der Eisbrecher wieder vorausgeht.
Liegt ein Schiff längere Zeit bei herrschendem Frost und Packeis fest, so heften sich gelegentlich Eis
schollen fest an den Schiffsrumpf, die die Manövrierfähigkeit des Schiffes stark beeinträchtigen, abgesehen da
von, daß sie in der relativ engen Fahrrinne bald wieder einklemmen. Es bedarf dann vorsichtiger Versuche
des Eisbrechers, durch Schraubenwirbel das anhaftende Eis zu lösen. — Der Schiffsaufbau festsitzender Schiffe
ist mitunter stark vereist (Abb. 33), und es bedarf mühsamer Auftauarbeit mittels offener Flammen, um die
Anker- und Trossenspille zu lösen. Der Eisbrecher selbst wird von Eisüberzug nur in sehr geringem Maße
betroffen, so daß nennenswerte Hinderungen an den wichtigen Geräten nicht entstehen. An die Manöverappa
ratur ebenso wie an die Bedienungsmannschaft und die Dienst habenden Offiziere werden hohe Ansprüche ge
stellt, wenn man z. B. bedenkt, daß bei Schneesturm von 17 sec./m und gleichzeitig —15 Grad die Arbeiten
gleichmäßig vor sich gingen und die Präzisionsapparate reibungslos funktionierten.
Gelangt der Eisbrecher bei der Ausfahrt in Eis, in dem sich bereits Dünung bemerkbar macht, dann
kann damit gerechnet werden, daß das nachfolgende Schiff nunmehr mit eigener Kraft den Rest des Eisgürtels
forciert (Abb. 14). Bei stillem Wetter und mangelnder Sicht ergeben sich, wie bereits erwähnt, schwierigere
Lagen.
Bei ruhigem und nicht kaltem Wetter halten sich ältere Fahrrinnen ziemlich gut und sind für eis
tüchtige Dampfer auf weite Strecken mit eigener Kraft benutzbar. Der Vorteil, den ein Schiff zu haben glaubt,
wenn es mit eigener Kraft vorausgeht, während der Eisbrecher bei einem anderen zurückliegenden Schiff noch
zu tun hat, ist nur kurzfristig. Über kurz oder lang wird es von dem Eisbrecher mit dem nunmehr folgenden
zweiten Schiff eingeholt; mitunter bleibt das vorausfahrende Schiff auch fest, -— jedenfalls bestehen dann
große Schwierigkeiten, wenn der Eisbrecher in Zwischenlage gerät. Das notwendige Ausweichen und Neuauf-