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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte und des Marineobservatoriums — 57. Band, Nr. 9
Neueis, gleichgültig, ob klares oder schneeporöses, wird indirekt durch Winddruck zusammengeschoben
(Abb. 21). Der Wind greift vornehmlich an dem umgebenden unregelmäßigen Eis an, und dieses vermittelt den
Druck auf das dünne Neueis (vgl. Abb. 2). Es bricht mitunter in wellenförmigen Linien auf, die dünnen Eis
flächen greifen dann fingerförmig unter und über. Oft kann man unterschobene Flächen schon an der Durch
sichtigkeit von oben her erkennen. Künstliche, aber naturgetreue Schiebungen dieser Art wurden vielfach durch
den Eisbrecher verursacht. In bezug auf seine Stärke steht es dem Tellerschubeis bei weitem nach.
8. Packeis und Treibpackeis.
Sehen wir ab von Tellerpackeis und Schubeis, die gesondert behandelt worden sind, dann bleibt uns nur
noch übrig, das Packeis, Schollenpackeis oder Treibpackeis zu erwähnen. Unter ihm verstehe ich das gemein
hin als Packeis bekannte und beschriebene Eis. Es besteht im einzelnen aus gestauchten und ungleich gepackten
Schollenstücken, verkittet durch Schneebrei oder Eisbrei (Abb. 12) oder fest zusammengefroren (Abb. 22).
Die Bestandteile des Packeises sind sehr mannigfaltig. Keineswegs darf man annehmen, daß es sich nur
um übereinandergetürmte Festeisschollen handele. Einen Hauptanteil hat auch Trümmereis, das bei dem
Packungsprozeß entsteht. Ähnlich wie bei den Wülsten des Tellereises werden in größerem Maßstabe bei den
Packeisschollen Stoßränder gebildet (Abb. 22). Im Anfangsstadium könnte man diese Schollen, die sich aus
auf gebrochenem starkem Festeis rekrutieren, ihrer oberflächlichen Form nach mit Tellereis größeren Maßstabes
vergleichen. Jedoch besitzen sie zunächst die Struktur des Alteises. Bei anhaltender Packung brechen die
Schollen immer mehr auseinander, werden stärker unterschoben, gestaucht und korrodiert; dabei entsteht mehr
und mehr Trümmereis, das seinerseits wieder Anlaß zu sekundärer Packeisbildung geben kann bzw. sich an der
Bildung von Schollenpackeis beteiligt. Tritt noch Schneefall hinzu, dann ist von der ursprünglichen Aus
gangsform des Eises nicht mehr viel zu erkennen. Lediglich Beobachtungen im Kielwasserstrudel des Eisbrechers
können hier wieder Aufschluß geben.
Packeis bildet sich, wie aus Vorhergehendem ersichtlich ist, vorzugsweise peripher zur Zone des Küsten
festeises, erst sekundär kann solches Packeis durch Drift meerwärts wandern. Dort löst es sich meist in einzelne
Schollen auf und verwandelt sich dadurch in leichtes Treibeis.
Schubeis kann sich natürlich ebenfalls in Packeis verwandeln. Grundsätzlich abgesehen sei hier von
Tellerschubeis (vgl. Kap. I, 5) und Tellerpackeis (vgl. Kap. I, 7), die gesondert besprochen sind. Das sich aus
Neueis, leichtem Festeis rekrutierende Schubeis, in der Regel von geringer Flächenausdehnung, geht bei fort
gesetzter Druckeinwirkung in Packeis über.
Packeis kann also ein äußerst komplexes Gebilde sein, selbst wenn man das Tellereis und seine Ableitungs
stadien davon abtrennt. Seine Stärke beläuft sich auf mindestens 100 cm, kann aber einige Meter erreichen.
Besonderer Erwähnung bedarf die Tatsache, daß Packeis in größerer Erstreckung in Drift befindlich sein
kann (Abb. 23). Im einzelnen läßt sich dieser Vorgang nicht wahmehmen, wohl aber, wenn man Glück hat,
die Verschiebungskante gegen fest liegendes Eis anzutreffen. Derartiges Treibpackeis ist der Schiffahrt ganz be
sonders hinderlich, da nicht nur der Eiswiderstand selbst, sondern auch die Gefahr der Verengung der Fahr
rinne bei Winddruck groß ist. Daß solches schweres Eis, das auf große Strecken fest ist, im ganzen treiben
kann, ist verständlich, wenn man berücksichtigt, welcher gewaltige tangentiale Druck bei starkem Wind auf der
sehr unregelmäßigen Oberfläche lastet. Treibpackeis dieser Art stellte sich vor Eggegrund (5 sm ostwärts) bei
Nordostwind mit 10 bis 15 sec./m ein (vgl. Kap. I, 11). Treibpackeis ist meist identisch mit dem Begriff: schwe
res Treibeis. Da die Beschaffenheit des Eises bei begrenzten Beobachtungsmöglichkeiten sehr leicht auf Pack
eis schließen läßt, besteht gerade hierbei eine große Fehlerquelle für Eisberichte. Innerhalb des treibenden
Packeises können noch offene, z. T. mit Trümmereis erfüllte Waken bestehen (Abb. 12), an deren Rändern man
beobachten kann, wie tief die Packeisschollen reichen. Mitunter ragen sie grünlich emporscheinend in einiger
Tiefe in die Wake hinein, dem Eisfuß eines Eisberges vergleichbar.
9. Eiswälle.
Wird Eis von örtlich verschiedener Widerstandskraft Seitendruck ausgesetzt, dann bricht es nicht überall
gleichzeitig auf, sondern längs Schwächelinien, etwa dort, wo verschiedene größere Schollen zusammengefroren
sind, oder wo aus anderem Grunde das Eis schwächer ist. An diesen Schwächelinien staut sich das Eis. Weiterer
Abbruch, also meist Trümmereis, aber auch kleine Schollen, werden aufgehäuft. Die Eisstücke mit größerer
Flächenausdehnung stellen sich naturgemäß quer zu den pressenden Schollen und stehen oft ganz vertikal. Der
gebildete Eiswall (Abb. 24) bzw. die Eispressung durchzieht mit örtlich sehr wechselnder Stärke größere Eis