Erwin Balcke: Untersuchung abnorm hoher Temperaturen in NorUdeutschland.
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Figur 8.
Es scheinen aber bei diesen Fällen ganz ungewöhnlich lange geradlinig über den ganzen Ozean hin ver
laufende Isobaren aufzutreten, die auf der anderen Seite des Ozeans bis in die westindischen Gewässer
reichen. Ara 3. Vortag reichen sie im Mittel bis zum 70. Längengrad, das ist noch westlich Bermuda.
Wenn eine solche Lage mehrere Tage anhält, dazu noch bei einem starken Gradienten, so kann, ohne daß
in Mitteleuropa die Isobaren besonders auffällige südliche Neigung besitzen, ein nicht unerheblicher Warm
lufttransport auf der Südseite des Systems einsetjen. Die idealisierte Lage zeigt Figur 7. Ganz typisch ist
eine tiefe Rinne mit mehreren Einzelkernen. Der Unterschied zwischen diesem Typus und dem Ausläufer
typus ist zunächst nur das Isobarenbild. Ferner ist hier eine wirklich mehrere Tage hindurch anhaltende
Lage erforderlich, wegen des weiteren Weges der Luftmassen. Und dann handelt es sich hier um Luft
westatlantischen Ursprungs, während es bei Typus 1 Azorenluft ist. Außerdem ist es hier nicht die
starke südliche Neigung der Isobaren wie beim Typus 1, sondern die große Länge, durch die die
Isobaren in weit südliche Breiten geraten. Die Struktur des Warmlufteinbruchs ist die einer Staffe
lung, ähnlich wie hei den stationären Ausläufern (lb). Zu diesen Fällen zählt der 30. XII. 1925, der
wahrscheinlich den gewaltigsten Wärmeeinbruch im Winter seit mindestens 150 Jahren darstellt und
verbreitet Hochwasser infolge Schneeschmelze zur Folge hatte. An dem Tage steigen in ganz Deutsch
land die Temperaturen über 10°. In ganz Südwest- und Mitteldeutschland aber werden 15° überschritten,
am Oberrhein steigt das Termometer auf I7‘ und in Mittelfrankreich (Clermont) auf 22°, so daß tatsäch
lich Sommertemperaturen mitten im Winter auftreten. Dieser Fall verdient daher eine genauere Be
trachtung, und zwar als Vertreter des Typus 2. Lange geradlinige Isobaren treten erstmalig am 25. XII.
auf; am 27. nehmen sie eine geradezu beispiellose Länge (Figuren 8 und 9) an. Sie reichen von 40° Ost
länge in Rußland bis fast nach Florida. Das Zyklonensystem hat die Form einer langen Rinne mit
mehreren Kernen. Eiue erste Warmfront passiert Potsdam am 27. mittags und bringt Temperaturen von 6°.
Am 28. bleibt Potsdam im Bereich dieser Luftmasse. Am 29., am Vortag, reichen die geradlinigen Iso
baren immer noch bis 55° Westlänge; jeßt tritt Gradientverschärfung westlich vom Kanal ein, wodurch
weitere Warmluft angesaugt wird und stürmisch nach Nordosten fließt. Zwei Warmfronten sind um 2 Uhr
zu erkennen; eine mit 7 bis 10 am Rhein und eine zweite über Westfrankreich, hinter der Luft von
13 bis 17° mit WSW-Stärke 8 einbricht. Die erste Front erreicht Potsdam um 12 Uhr, die zweite um
21 Uhr; hinter der Ießteren steigt die Temperatur auf 12°. Später scheinen keine direkten Fronten
mehr zu kommen. Die Temperatur nimmt nur noch langsam in dem Südweststrom zu.