Gerhard Isbary: Das Inselgebiet von Ameland bis Rottumeroog
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EINLEITUNG.
Das Dünengebiet, das ostwärts der Kreideklifis von Calais beginnt, legt sich bis Texel in einer konkaven
Linie vor die flämisch-holländische Küste. Von dort gleitet es, nach NO umbiegend, in einen konkaven Bogen
über, der die Inseln von Ameland bis Juist umfaßt. Er wird nicht nur deutlich bei Berücksichtigung der ältest
erkennbaren Westköpfe der Inseln, sondern auch bei der Betrachtung ihrer gegenwärtigen Verschiebung auf dieser
Konkave. Von Norderney bis Wangeroog liegen die Inseln gestaffelt, wobei sich aber die alten Westköpfe der
Inseln durch eine gerade Linie verbinden lassen. Wie erklären sich die wechselnden Richtungen des holländisch
friesischen Dünensaumes? Sind sie durch den Verlauf der verschiedenen wirksamen Stromrichtungen des Meeres
entstanden oder entstanden sie in Anlehnung an die Formen des Festlandes? Über den Untergrund der west
friesischen Inseln sind wir bisher nur wenig unterrichtet. Einige auf ihnen niedergebrachte Bohrungen beweisen
nur, daß das Diluvium sehr tief unter ihnen einfällt. Bei Den Burg und Den Hoorn auf Texel und auf Wieringen
tritt das Diluvium noch zutage; wahrscheinlich befindet sich auch unter Griend ein diluvialer Kern. Auf dem
nördlichen Texel (De Cocksdorp) liegt es bereits auf 18 m — N. A. P. und auf dem nordöstlichen Vlieland in
20 m — N. A. P. 1 Bei Westterschelling ist das marine Alluvium in 28,2 m — N. A. P. nicht durchbohrt worden 2 .
Das gleiche gilt für zwei Schiermonnikooger Bohrungen von 15,7 und 18 m — N. A. P. 3 und für eine Bohrung
auf Rottumeroog von 16,69 m — N. A. P. 4 . Von Ameland ist bisher keine Bohrung bekannt.
Die westfriesischen Inseln nordöstlich Texels sind demnach nicht vom diluvialen Untergrund her beein
flußt, sondern, wie die Facies ihres alluvialen Untergrundes beweist, eine rein marine Bildung vor der aufragen
den Geest des Hinterlandes. Und doch scheint die Lagestelle der Inseln nicht ohne Zusammenhang mit den
Formen des diluvialen Festlandes. Es spricht vieles für die Auffassung, daß die Verlängerung des Geestrückens,
der in SO-NW-Richtung Westfriesland durchzieht und dessen höhere Südwestkante bei Stavoren (Het roode Klif),
Wieringen und Texel wieder auftaucht, der eine Eckpfeiler des westfriesischen Inselbogens ist. Auf den anderen,
der in der Verlängerung des durch Oldenburg und Ostfriesland ziehenden Geestrückens sich wahrscheinlich bis
Borkum und Juist erstreckt, hat Behrmann 5 bereits hingewiesen (s. Karte 1, Tafel 2). Zwischen beiden Geest
rücken liegt eine Depression, die im Jungholocän von mehreren großen Meereseinbrüchen, der Lauwerszee, der
einstigen Fivelbucht und dem Dollart angedeutet werden. Sie scheint schon im Pliocän bestanden zu haben.
Während das Hangende des Pliocäns bei Aurich in 55 m Tiefe, bei Emden in 20 m und in der Westermarsch bei
37,25 m Tiefe auftritt, liegt es bei Loga (ostwärts Leer) tiefer als 123 m 6 , bei Beerta (westlich Neue Schanz) in
168 m — A. P., in Noordlaaren (südlich Groningen) in 175,67 m — A. P. 7 . Hier also bot sich die Gelegenheit zur
Ausbildung einer Form, die wir als eine von den Gezeitenströmungen modifizierte Nehrung bezeichnen können.
Dieser Auffassung steht besonders van Dieren 8 , der verdienstvolle Vorkämpfer der jungen hollän
dischen Dünenforschung, nahe. Auch er nimmt den diluvialen Kern Texels (er spricht sogar vom „Texel-Wie-
ringen-Komplex“) als Ansatzpunkt einer nehrungsartigen Bildung vor der Festlandsküste an, behandelt dann aller
dings nur den Dünenbogen, der sich zwischen Texel und Calais spannt, ohne auf die westfriesischen Inseln näher
einzugehen.
Die Frage nach der Herkunft des Sandes der Inseln und ihrer Dünengebiete wird schon längere Zeit hin
durch lebhaft erörtert. Es würde zu weit führen, die Geschichte dieses Streites hier zu schildern. Die bis in die
Gegenwart vorherrschende Meinung, er stamme ausschließlich von der Kanalküste und von den Mündungen der
großen Flüsse 9 , ist von Behrmann 10 eindeutig abgewiesen worden, indem er darauf hinweist, daß einmal die
Quelle im W fehlt, da die Kreidekliffs der Kanalküsten keinen reinen Quarzsand liefern können, und zum ande
ren, daß die Unterläufe des Rheins, der Maas und der Schelde beiderseits der Mündung nirgends unfruchtbare
Sandflächen aufgeschüttet haben, sondern nur fruchtbare Marschen. Auch ist der schwache Strom ihrer Unter
läufe nicht mehr fähig, feineren und gröberen Sand zu transportieren. Es darf schließlich auf die Dünenbildungen
1 Steenhuis, Literatur-Verz. Nr. 98.
2 L o r i é , Nr. 67. VIII, 1913.
3 T. 1920, S. 622.
4 van Calker, Nr. 32. S. 153.
5 Nr. 15. S. 92 f.
6 Wildvang, Nr. 113, S. 13f.
7 Moolengraaff, Nr. 75, S. 73.
8 Nr. 38, S. 21 u. S. 38.
9 Jeswiet, Nr. 57, S. 26 f., Tesch, Nr. 102, T. 1920, u. u. m.
10 Nr. 15, S. 81 f.