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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 56. Band, Nr. 1
V. Die Gezeitenverhältnisse bei Sylt
Die Gezeitenverhältnisse sind in der Nähe der Sylter Küste verhältnismäßig kompliziert, weil sich hier
(in der Nähe von Westerland) verschieden gerichtete Hauptströmungen der Nordseegezeiten begegnen. Für die
nördliche Hälfte der Insel setzt der Flutstrom von Süden nach Norden, für die Hörnumer Küste von Norden nach
Süden. Bei Westerland ist die Richtung des Hauptflutstroms ziemlich genau auflandig, die des Ebbstroms ab
landig. An der nördlichen Westküste geht der Flutstrom durch eine Rechtsdrehung aus der nördlichen Richtung
über Westen in die südliche Richtung über.
Der Tidenhub ist im Süden der Insel größer als im Norden. Für den mittleren Teil von Hörnum (Gurt
Flie in 54°48,7' n. B. und 8°17' ö. L.) wird ein mittlerer Tidenhub von 1,78 m angegeben (L. Möller 1933 14 ),
bei Ellenbogen-West beträgt der mittlere Tidenhub 1,55 m. Nach dem vom Wasserbauamt Husum herausgege
benen Flutkalender für 1935 15 ist der mittlere Tidenhub für
Hörnum Odde 1,7 m
Westerland 1,7 m
Listertief Ansteuerungstonne 1,5 m
In der Gegend des Roten Kliffs wird ein mittlerer Tidenhub von 1,6 m anzunehmen sein.
Die Geschwindigkeit der Gezeitenströmungen liegt an der gesamten Westküste zwischen 0,9 und 1,0 sm/Std.
In Tabelle 8 sind die Gezeitenverhältnisse um Sylt nach dem Atlas der Gezeiten von 1925 16 dargestellt.
Tabelle 8.
geogr. Br. geogr. L. Richtg. Geschw. Richtg. Geschw.
des Ebbstroms des Flutstroms
54°44' 8°8' 340° 1,0 sm/Std. 180° 1,0 sm/Std.
Hörnum Odde 54°44' 8° 18' 220° 1,9 „ 45° 2,9 „
Listertief Ansi. T 55°4' 8° 18' 235° 0,9 „ 35° 1,0 „
55°3' 7°45' 320° 0,9 „ 130° 0,9 „
osti. d. Lister Gl.-T 55°3' 8°29' 340° 1,8 „ 160° 2,2 „
Für die Verhältnisse des Roten Kliffs sind die bei der Listertief Ansteuerungstonne beobachteten Werte annähernd
maßgebend.
Sehr deutlich zeigt sich in der Tabelle der Gezeiten die verschiedene Wirkung der Gezeitenströme in der
offenen See und in den Tiefs nördlich und südlich der Insel. Die Strömungsgeschwindigkeit nimmt in den engen
Seegaten bedeutend zu. Leider gibt es bisher keinen Pegel an der Sylter Westküste. Gerade die Verschiedenheit
der Gezeitenwirkungen in den Sylter Gewässern zeigt, daß die Pegel an der Ostküste der Insel für eine Feststellung
der Wasserstände an der Westküste verhältnismäßig wenig Aufschluß geben können. Es ist daher bisher nicht
einwandfrei möglich, die Wirkung der Winde auf Tidenhub und Gezeitenströmungsrichtungen für die offene See
in der Nähe der Sylter Westküste festzustellen. Im allgemeinen gilt natürlich der Satz, daß auflandige, also Süd
west-, West- und Nordwestwinde, den Wasserstand erhöhen, während Winde aus dem östlichen Quadranten wasser
standserniedrigend wirken. Am bedeutendsten ist die Stauwirkung, wenn innerhalb einer einzigen Flutperiode ein
anfänglicher Südweststurm über West nach Nordwest dreht. Nach den Pegelbeobachtungen von List erzeugen dort
Winde mit südlicher Komponente höhere Wasserstände als solche mit nördlicher Komponente.
VI. Der morphologische Zustand des Kliffs am Anfang der Beobachtungszeit
Das Rote Kliff verdankt seine Entstehung den Angriffen der Brandung bei Sturmflut. Bei der großen Höhe
des Kliffs ist es selbstverständlich, daß die Brandung auch bei höchstem Wasserstand nur seinen unteren Teil be
rührt. Der obere Teil des Kliffs stürzt nach, und so entsteht in der Regel ein oberer steiler Abbruchshang mit
unten vorgelagertem Schutt, der je nach Stärke und Dauer der Brandungswirkung sofort teilweise oder ganz ab
getragen wird (Bild 1).
Ein solcher frischer Abbruchshang stellt immer wieder die Primärform dar für die auf den Meeresangriff
folgende Ruhezeit. Dann setzen die auf das feste Land wirkenden morphologischen Kräfte ein und schaffen all
mählich einen ausgeglicheneren Hang, der nach und nach verflacht wird und dessen Form natürlich von dem Ma
terial seiner Oberfläche abhängig ist.
Die Beobachtung des Kliffs begann Ende Oktober 1934, gerade nach einer Zeit starker Stürme aus dem
14 L. Möller, Das Tidegebiet der deutschen Bucht. Veröff. d. Inst. f. Meereskunde. N. F. A. Geogr. - naturw. Reihe,
Heft 21.
15 Flutkalender für Husum, aufgestellt vom Preuß. Wasserbauamt Husum nach Angaben d. Deutschen Seewarte i. Hbg. 1935.
16 Atlas der Gezeiten und Gezeitenströme für das Gebiet der Nordsee, des Kanals und de; britischen Gewässer. Deutsche
Seewarte, Hamburg 1925.