Gerhard Isbary: Das Inselgebiet von Ameland bis Rottumeroog
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a) Der Hollum-Ballumer Dünenkomplex.
Nachdem festgestellt wurde, daß auf Teilstücken einer einst die ganze Insel durchziehenden Binnendüne
sich in späterer Zeit selbständige Dünenkomplexe aufgebaut haben, ist für den Hollum-Ballumer Komplex als
den westlichsten zunächst zu untersuchen, wie seine ursprüngliche Lage gewesen ist. Zum Vergleich sind die Karte
von Friesland (Ortei ins, 1568, I), eine Zeichnung der Umrisse des Dünengebietes von 1749 (XXVI), die
in die erste vergleichende Karte der Dünenumrisse in den Verslagen ohne Quellenangabe übernommen ist, und
deren Original wir leider nicht ausfindig machen konnten, die Aufnahmen von 1809, 1854, 1878 und 1927 her
angezogen worden (XII, XX. XXIII und XXIX). Ein Vergleich über die dargestellten fast vier Jahrhunderte
hinweg zeigt, daß in dieser Zeit jedenfalls die Insel im W kaum an Boden verloren hat. Anders steht es mit der
Lage des westlichen Dünenkomplexes. Hier ist der ursprüngliche Zustand in den letzten zwei Jahrhunderten voll
kommen verändert worden. Nach der Darstellung von 1749 ist das Dünengebiet in der Form einer Dünenmuschel
ausgebildet, der im 0 einige Erweiterungssysteme angelagert sind (s. Karte 9, T. 3). Seeseitig ist sie voller Vor
sprünge und Einbuchtungen. Es fehlt also das Kennzeichen des im Abbruch befindlichen Dünengebietes: die glatte
Linie eines vom Wasser gleichmäßig angeschnittenen Kliffs. Die alte Binnendüne ist zum großen Teil erhalten.
Ballum liegt hinter dem Erweiterungssystem der Roosduinen, die daher älter als die Siedlung sein müssen. Der
Name der Oosterduinen für die Dünen nördlich der Roosduinenwurzel weist den Zwanewaterduinen im 0 des
Dünenkomplexes ein jüngeres Alter zu. Von ihnen ist ein großes Stück ehemaliger Strandfläche eingeschlossen,
welche von der Oosterduinrin, der alten Dellenrinne, entwässert wird.
Aus der Tatsache, daß die vollständigen Dünenmuscheln auf Schiermonnikoog, Bosch, Rottum, Borkum
und Wangeroog um die Wende des 17. und 18. Jahrhunderts im wesentlichen noch unzerstört waren, dürfen wir
für Ameland, das auch in der nachfolgenden Zeit keine Lageverschiebungen erlitten hat, um so mehr annehmen,
daß der Zustand von 1749 keine großen Veränderungen der ursprünglichen Lage aufwies. Ein Beweis, daß der
Dünenkomplex ursprünglich aus einzelnen Dünenketten sich zusammensetzte, ist darin zu erblicken, daß im W
unter den vom Wasser angeschnittenen Dünen Niedermoor und dünne Pflanzendecken gefunden wurden, die nur
in Dünendellen entstehen konnten. So berichtet van Baren 61 , daß Spieker dicht an der See westlich der
Tonneduinen eine stark zusammengepreßte Moorschicht antraf, die Pollen von Kiefer, Else, Birke, wenig Eiche
und Weide, nebst vielen Holzresten des Wacholders enthielt. Dieser Fund läßt auf ein höheres Alter der bloß
gelegten Delle schließen, da es auf Ameland seit langer Zeit keine natürliche Waldbildung mehr gibt 62 . Zugleich
stützt es die Ansicht von dem Alter der Dünenmuschelbildung. Auch nach einer Sturmflut Ende September 1934
kamen, unter den abgeschlagenen Dünen nahe dem Außenpfahl I beginnend, 400 m den Strand entlang in süd
östlicher Richtung Reste einer alten Delle zum Vorschein, die ungefähr einen halben Meter über MHW lag. Über
weißem Meeressand folgten einige bis cm dicke Humuslagen, die von 1—3 cm mächtigen Lagen feinen Sandes
(Dünensand?) getrennt waren. Darüber lag eine 2—3 cm dicke moorig-kleiige Schicht und über ihr eine Schicht
Niedermoor von 4—5 cm Dicke. Das Ganze hatte eine Mächtigkeit von 12—14 cm. Die Entstehung läßt sich etwa
folgendermaßen denken: Seeseitig baute sich ein Vordünenfeld auf. In die eingeschlossene Delle hatte das Wasser
von der Wattseite bei höheren Fluten Zutritt und überlagerte mit dünnen Kleilagen die Pflanzendecke, die sich in
der Delle bei mehrfachen Übersandungen von der Vordünenseite her gebildet hatte. Als das Vordünenfeld die
Funktion einer Außendüne übernommen hatte, entstand in der nahezu abflußlosen Delle ein Niedermoor von ge
ringer Mächtigkeit.
In der kleihaltigen Schicht sowie in der Moorschicht waren eine Menge von Wagen-, Pferde-, Rind- und
Schafspuren erhalten, die vom Wasser wieder ausgespült wurden. Es liegt also eine größere, wirtschaftlich ge
nutzte Delle vor, nicht etwa nur der Boden eines ausgewehten Dünenkessels, in dem sich eine dünne Moorschicht
gebildet hatte. Die Wagenspuren waren, bis auf den südlichsten Teil, wo sie quer zur Linie des Aufschlusses in
Richtung Hollum verlaufen, in ausgefahrenen Geleisen in nordwest—südöstlicher Richtung vorhanden. Ein Ver
gleich der Stelle des Aufschlusses mit der Karte von 1749 macht es wahrscheinlich, daß hier die dort einge
tragene westlichste Delle, die in jenem Teil in der gleichen Richtung verlief, von der See angeschnitten wurde.
Von Bedeutung für die Einzeitung der Delle sind die zahlreichen Schafspuren. Denn in Hollum war das Schafe
halten vom Inselherrn bei schwerer Strafe ganz, in Ballum bis 1719 63 verboten, da sie durch ihre Exkremente die
Weide für das übrige Weidevieh verdarben. Aus jüngerer Zeit können sie jedoch auch nicht stammen, da an Hand
der Karten festzustellen ist, daß seit 1809 an dieser Stelle kein seeseitiger Dünenkettenbau stattfand, der die Ent
stehung einer bewachsenen Delle erst ermöglicht hätte. Im übrigen hat Hollum auch heute noch keine Schafe. Die
Spuren und damit die Delle müssen darum zumindest älter sein, als es die Macht der Inselherren war, den Hollu-
mern Gesetze aufzuerlegen.
Aussicht, in aufgeschlossenen Dellen Reste der ehemaligen Dünenanlage zu finden, besteht nur mehr im SW
der Insel, denn im NW und N ist sie vollständig zerstört und ihr Material landeinwärts geschoben worden. Die
61 T. 1914, S. 297.
62 van Dieren, Nr. 37, fand auf Terschelling Baumreste unter den Dünen. Er ist nicht nur der Ansicht, daß früher
natürliche Waldbildung auf den friesischen Inseln stattfand, sondern er stellte auf Terschelling sogar heute noch spontanes Auftreten
der weißrindigen Birke, Ohrweide und Zitterpappel auf alten Heideflächen fest.
63 Nr. 55, S. 227.