Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 55. Bd. Nr. 1
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nähme der Alkalinität oder des Kalkgehaltes bei Annäherung an das Festland, aus dem sich Flüsse in das Meer
ergießen, nur durch den Kalkkreislauf und -haushalt im Wasser des betreffenden Gebietes, hier speziell der Deut
schen Bucht, erklärt werden kann. In früheren Darstellungen über Untersuchungen des Kalkgehaltszustandes in
diesem Gebiet begnügte man sich mit der einfachen und verständlichen Erklärung, daß die Zunahme der Alka
linität in Randmeeren wie z. B. in der Nordsee ganz allein durch die kontinentalen Abflüsse, die Trümmermaterial
von gelösten und ungelösten kalkhaltigen Stoffen mit sich führen, verursacht wird. Daß eine Zuführung von
kalkhaltigem Material durch die Flüsse in das Meer stattfindet, daran ist nicht zu zweifeln. Nur eine Tatsache ist
bisher von hydrographischer Seite nicht genügend hervorgehoben worden, daß das im Fluß- sowie im Meerwasser
vegetierende organische Leben kalkführender Planktonten in seiner Abhängigkeit von dem äußeren Medium einen
dauernd wechselnden Kalkgehaitszustand im Wasser aufrecht erhält, der auf Grund der für die Organismen
günstigen Bedingungen in der Nähe des Festlandes viel größeren Veränderungen unterliegt als im freien Meer und
daß diese Schwankungen sich in den Anomalien des Kalkgehaltes widerspiegeln. Schon aus der geographischen
Verteilung des Gesamtkalkgehaltes konnten wir ersehen, daß eine stetige Zunahme desselben zum Festland hin,
wie frühere Untersuchungen annehmen, nicht vorhanden ist, sondern daß vielmehr der Gehalt an ungelöstem
Kalk sowie der Gesamtkalkgehalt vom Meere nach den Flußmündungen hin zunimmt und dann im Fluß selbst
wieder abnimmt. Dies ist der allgemeine Überblick in der Verteilung dieser Kalkgehalte. In Wirklichkeit herrscht
ein ständiges Auf und Ab in der Kalkgehaltsverteilung, die ihre größten Anomalien dort aufweist, wo die günstig
sten Lebensbedingungen für die im Wasser lebenden planktonischen Organismen vorhanden sind. Das ist in
der Deutschen Bucht eben das Gebiet der Elbmündung. Das zu gewissen Zeiten stärker zunehmende Aufblühen
oder Sterben kalkhaltiger Organismen wird in der Elbrnündung und in der Deutschen Bucht noch dadurch unter
stützt und vielleicht auch dadurch primär verursacht, daß sich in diesem Gebiet Wasserarten verschiedener Her
kunft gegenseitig durchdringen, so daß in den Mischwasserzonen denkbar extreme Verhältnisse geschaffen werden.
Trotz des ungeheuren Bedarfs an Aufbaustoffen wie Kalk u. a. wird infolge der durch die Vermischung bedingten
Zerfallsprozesse ständig ein Überschuß davon vorhanden sein. Vielleicht hat sich auch hier genau so wie in der
Norderelbe bei Hamburg ein biologisches Gleichgewicht in der Wechselwirkung zwischen hydrographischen und
biologischen Faktoren herausgebildet.
5. Zusammenfassung
1. Das wichtigste Ergebnis dieser systematischen einjährigen Kalkgehaltsuntersuchung ist dies, daß im
Gebiet der Unterelbe und Deutschen Bucht zwischen der Kalkgehaltsverteilung im Oberflächenwasser und der
Verteilung des kalkschaligen Planktons ein inniger Zusammenhang besteht.
2. Im Gebiet der Oberelbe und Unterelbe wird im Frühjahr und im Hochsommer dem Wasser Kalk ent
zogen, während im Herbst bis Anfang Winter dem Wasser Kalk in gelöster Form oder als Suspension zuge
führt wird.
3. Im Gebiet der Norderelbe bei Hamburg ist wahrscheinlich infolge der durch die Sielergüsse des Ham
burger Stadtgebietes bedingten überaus starken Planktonwucherung (Copepoden) der Kalkentzug größer als die
Kalkzufuhr. Dies hat zur Folge, daß sich in der Norderelbe je nach der Jahreszeit ein mehr oder weniger starkes
Minimumgebiet des Kalkgehaltes herausgebildet hat, so daß hier von einer biogenen Entkalkung des Ober
flächenwassers der Norderelbe gesprochen wird.
4. Der Gesamtkalkgehalt und der Gehalt an gelöstem Kalk ist in der Norderelbe sehr viel geringer als in
der Ober- und Unterelbe. Dagegen erreicht der Kalkgehalt der im Wasser suspendierten Teilchen bei Hamburg
seinen größten Wert bei gleichzeitigem Abfall des Gesamtkalkgehaltes.
5. Ferner ist der Kalkgehalt des Oberelbwassers durchschnittlich größer als derjenige der Unterelbe.
Außerdem besteht hinsichtlich der Kalkgehaltsverteilung zwischen der Nordseite und der Südseite des Strom
gebietes der Norderelbe ein bemerkenswerter Unterschied.
6. Der Zusammenhang zwischen Planktonmenge und Kalkgehalt im Gebiet der Ober- und Unterelbe besteht
darin, daß das Planktonmaximum mit einem entsprechenden Kalkgehaltsminimum und umgekehrt zusammenfällt.
7. Auch im Gebiet der Elbmündung von der Mischwassergrenze bei Hollerwettern-Brunsbüttelkoog bis Cux
haven-Elbe 4 erscheint im Frühjahr und Hochsommer ein Kalkgehaltsminimum, im Herbst und Winter dagegen
ein Kalkgehaltsmaximum.
8. Im Grenzgebiet bei Brunsbüttelkoog, je nach der Jahreszeit weiter stromaufwärts und -abwärts ver
schoben, erscheint zu allen Zeiten ein maximaler Gesamtkalkgehalt. Dasselbe gilt für den Kalkgehalt der im
Wasser schwebend gehaltenen Partikelchen.
9. Eine allgemeine Beziehung zwischen Alkalinität A und Salzgehalt S für das Gebiet Hollerwettern—-
Cuxhaven und für die Zeit Winterhalbjahr 1932 und Sommerhalbjahr 1933 lautet
[1] A = 1,849 + 0,018 S mäquiv/L.