Dr. Erich Holler; Feucht- und Trockensteppen im Abiadbecken.
47
Das obere Nilgebiet ist schon sehr früh Gegenstand der Forschung gewesen. Bereits die
alten Ägypter hatten Expeditionen nach dem S geschickt, die wohl bis zum Rande des Sudd-
gebietes gekommen sein mögen. Die Zenturionen Nercs sollen ebensoweit, nach anderen
Angaben sogar bis rund 5° N gekommen sein. Die Kenntnisse gingen später wieder verloren.
Die im 16. und 17. Jahrhundert in Abessinien wirkenden Portugiesen haben für das Nilgebiet
wenig geleistet. Der erste wissenschaftliche Reisende dort war um das Jahr 1770 der Schotte
Bruce. Nach der Eroberung des Sudan für Ägypten kamen viele Händler, Missionare und
wissenschaftliche Reisende in das Abiadbecken. In den 20er und 30er Jahren des 19. Jahr
hunderts wirkten dort Cailliaud und Letorzec, Kotschy, Russegger und Rüppeil; Händler wie
Petherick und Brun Rollet in den 40er und 50er Jahren haben viele wertvolle Angaben
gesammelt. Interessant ist es, daß wohl der Asrak, der Abiad und Djebel, der Ghazal und
auch die Djesireh bereist wurden, niemals aber der SO; Händler sowohl wie Wissenschaftler
gingen stets darum herum. Heuglin berichtet als etwas Außergewöhnliches, daß ein Händler
Ibrahim Bas aus Chartum einmal einen Vorstoß nach dem O gemacht habe. Alle Straßen
gingen im W; Emin versuchte, eine Poststraße im O anzulegen, gab den Versuch aber bald
wieder auf. In den 60er und 70er Jahren wird in unserem Gebiete viele gute Arbeit geleistet;
Namen wie Heuglin, Hartmann, Pruyssenaere, Speke, Emin, Schweinfurth und Junker sprechen
dafür. Mit der Mahdizeit war die Forschung für ungefähr 15 Jahre lahmgelegt; hinterher war
es besonders politische Eifersucht, die die Engländer, Franzosen und Italiener veranlaßte,
Militärgeographen in das abessinische Grenzgebiet zu schicken; ihre Angaben sind nicht immer
so wertvoll wie die von wissenschaftlichen Reisenden.
Es fehlt für unser Gebiet noch sehr an Beobachtungsreihen für das Klima. Wir können
den Widerspruch zwischen der Niederschlagshöhe und der Pflanzendecke daher durch Zahlen
angaben nicht lösen, aber vielleicht eine qualitative Erklärung geben durch die Einführung der
landschaftskundlichen Ausdrücke Norm und Modifikation. Die Norm ist die Landschaftsform,
der Pflanzenverein, der dem Klima entspricht; das wäre hier zum Teil die Salzsteppe, zum
anderen Teil die Trockensteppe und im SW die Feuchtsteppe. Aus der Norm wird durch andere
örtlich bedingte Einflüsse die Modifikation geschaffen. Wir wollen den Gegensatz zwischen
Norm und Modifikation in den einzelnen Landschaftsgebieten des Abiadbeckens betrachten.
Für die Djesireh sollte man nach der Nicderschlagshöhe eine Salzsteppe erwarten. Jäger
rechnet die Sahelzone von 100 bis 500 mm Niederschlag mit einer Trockenzeit von mindestens
7 Monaten; die Pflanzendecke ist Gras und Dorngesträuch. Die Sudanzone mit 500 bis 1000 mm
Niederschlag und einer 6 Monate dauernden Trockenzeit ist Buschsteppe und Dornbuschsteppe;
bei 1000 bis 1300 mm ist Laubbuschsteppe und Trockenhochwald entwickelt. Große Teile der
Djesireh haben weniger als 500 mm und doch eine ausgedehnte Waldbedeckung, die häufig in
der Ebene, weniger oder gar nicht auf den Inselbergen, durch Brandkultur niedrig gehalten
wird. Das ist eine Vegetation, die einem wesentlich höheren Niederschlag entspricht; daß sie
doch von der Regenzeit abhängt, wird dadurch bewiesen, daß viele Pflanzen im Winter einen
Trockenschlaf halten. Die Norm der Salzsteppe wird durch bestimmte orographische Ver
hältnisse modifiziert. Der abessinische Steilrand schickt jeden Sommer gewaltige Wasser
massen nach W in die Ebene hinaus, in der wegen der geringen Neigung und außerdem, weil
zwischen Asrak und Sobat kein großer Fluß besteht, der linear abtransportieren könnte,
gewaltige Überschwemmungen erfolgen, die nur langsam zum Abiad ablaufen. Auf diese Weise
wird die Salzsteppennatur überdeckt, dem Lande mehr Wasser gegeben als dem Niederschlage
entspricht und, was sehr wichtig ist, die Dauer der Trockenzeit verkürzt, da das Hochland
früher Regen empfängt. Der Boden der Djesireh ist ein staub- und sandhaltiger Lehm, der einige
Feuchtigkeit aufnehmen kann; die vielen Inselberge führen Quellen. Vielleicht lassen sich durch
diese Wasserverhältnisse auch die rötlichen Lehmböden erklären, von denen Marno berichtet.