Dr. Helmut Springstubbe: Die Gezeiten-Erscheinungen im SQLorenz Jjolf.
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und ermittelt das Integral am besten planimetrisch oder auch rechnerisch, — Abb, 17 zeigt die gra
phische Darstellung der laufenden Querschnitte längs der x-Achse, auf der vertikalen y-Achse die
Werte //2. h(x). Die Werte für die Hauptwelle sind durch eine voll ausgezogene Linie verbunden, wäh
rend die der Belle Islewelle durch eine gestrichelte Linie verbunden sind. Die Längserstreckung der
Wellen ist ungefähr die gleiche, die gesamten Querschnitte hatten ja gleichen Abstand voneinander
( / x = 20 km); die Belle Islewelle hat 42, die Cabotwelle 44 Querschnitte. Man ersieht aus der Dar
stellung, wie die Energie der Belle I s 1 e welle, je weiter von der Mündung ab, immer geringer wird,
z. T. hebt sie sich in der Darstellung gar nicht mehr von der x-Achse ab. Dagegen kann man an den
Energiewerten der Haupt welle sehen, wie stark die Energie dieser Welle in den Golf hinein
dringt. Der Maßstab in der y-Achse ist in 10 13 c- g- s-Einheiten gewählt; das Integral über den bei
den Kurvenzügen muß dann, wenn man den verkürzten Maßstab in der x-Achse berücksichtigt,
die potentielle Energie der Mitschwingungswelle in Erd ergeben, und zwar ergibt sie sich für die
Belle Islewelle größenordnungsmäßig zu etwa 5X10 19 Erg. und für die Hauptwelle zu etwa 4X10 21
Erg. Die Integrale verhalten sich etwa wie 2,4 (Belle Islewelle) zu 196,1 (Hauptwelle), was etwa
einem Verhältnis von 1 :82 entspricht. In Prozenten ausgedrückt kann man etwa sagen, daß die
Belle Islewelle energetisch nur etwa 1,2% der Hauptwelle ausmacht, also für die allermeisten Be
trachtungen außer Acht gelassen werden kann. Die durch den Mündungsquerschnitt 44 in der Cabot-
Straße während einer halben Gezeitenperiode_hindurchgeschobene Wassermenge beträgt etwa q =
200 km 1 , die durch den Mündungsquerschnitt 42 in der Belle Isle-Straße in den Golf während einer
halben Periode hineingeschaffte Wassermenge beträgt etwa q = 2,2 km J , Die Wassermenge der
Belle Isle-Gezeit verhält sich also zu der der Hauptgezeit wie 2,2 zu 200, d. h. die Belle Isle-Gezeit
macht etwa 1,1% der Hauptwelle aus; dieser Wert stimmt ausgezeichnet mit dem durch die Ener
gieberechnung über die Integration erhaltenen von 1,2% überein. Das ist natürlich kein Zufall, son
dern in der Theorie des Mitschwingens wohl begründet, daß sich die Energien der beiden Wellen zu
einander verhalten wie die tatsächlich in den Golf hineingeschobenen Wassermengen. Natürlich kann
die Berechnung der Energien nur größenordnungsmäßig gewertet werden.
Im Zusammenhang hiermit mag noch eine Folgerung erwähnt werden, die gezogen werden soll,
weil sie in naher Verbindung mit einer praktischen Frage der St. Lorenzgezeiten steht. Es bestand
oder besteht auch vielleicht noch die Absicht, die Belle Isle-Straße als Verbindung des Golfs mit
dem Atlantischen Ozean zu sperren. Man erhofft sich von dieser Maßnahme eine wesentliche Milde
rung des Klimas der gesamten St. Lorenz-Klimaprovinz, Dieser Plan beruht wohl noch auf der
alten, schon seit Dawson widerlegten Ansicht, daß durch die Belle Isle-Straße ein beständiger kalter
Strom in den Golf hineinfließe. Da der Strom dort aber hauptsächlich gezeitenmäßig verläuft, dürfte
die Temperatur der Wassermassen im St. Lorenzgolf dadurch merklich kaum geändert werden.
Es ist also kaum einzusehen, daß eine Sperrung der Belle Isle-Straße eine wesentliche Milderung
des Klimas herbeiführen würde; die Sperrung wäre also unzweckmäßig, wenn nicht andere Gründe
dafür vorhanden sein sollten.
Es tritt jedenfalls die Frage auf, ob mit einer vollkommenen Sperrung der Belle Isle-Straße auch
eine wesentliche Aenderung der Gezeiten im Golf verbunden sein würde. Diese Frage ist nach dem
Vorangehenden selbstverständlich zu verneinen. Es war nachgewiesen worden, daß die Einwirkung
der Belle Isle-Gezeiten auf die tatsächlichen Gezeiten nur äußerst gering ist. Eine kleine Änderung
würde vielleicht am inneren Ende des dann an der Belle Isle-Straße geschlossenen Nordzipfels in
sofern eintreten, als dort das Mitschwingen des Ncrdzipfels mit der Gezeit im Golf einen etwas
größeren Hub an der Sperrung selbst hervorrufen könnte. Von der Lage des Sperrdammes hinge es
ab, wie in der Belte Isle-Straße selbst sich die Gezeiten verhalten würden. Führte man die Sperrung
beim Querschnitt 37 durch, so müßte die Gezeit in der Straße die Phase 7 h mit der Gezeit im Ozean
gemeinsam haben; würde sie bei Querschnitt 42 vcrgenommen, so würde sie mit dem Nordzipfel die
Phase 10" haben. Auf jeden Fall müßte die jetzt dort vorhandene Zusammendrängung der Flutstun
denlinien dann verschwinden, denn das „Schwingungsgebiet", das die Straße jetzt durch das Zu
sammentreffen der G o 1 f w e 11 e mit der Belle Is 1 e w el 1 e bildet, wäre durch die Sperrung ge
trennt. — Im offenen Golf würde sich in dem Verlauf der Gezeiten bestimmt keine merkbare
Änderung vollziehen. Dies Ergebnis wird durch die Rechnung untrüglich bewiesen. Die Dreh
welle als eine Erscheinung, die einzig und allein durch die Einwirkung der ablenkenden Kraft der
Erdrotation auf die Hauptwelle entsteht, würde keine merkbare Veränderung durch das Fehlen der
Belle Islewelle erleiden. — Die hydrodynamische Theorie ist also vorzüglich in der Lage, diese Er
kenntnis, die von wesentlicher Bedeutung werden kann, mit Sicherheit festzustellen. Auch diese
Rechnung über die Energie der beiden Mitschwingungsgezeiten hat den Beweis zu ihrem Teil unter
stützt.