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Dr. Helmut Springstubbe: Die Gezeiten-Erscheinungen im St. Lorenz Golf.
Mäherangsweise kann man aber ihre Wirkung in Rechnung stellen. Der Hub der durch die ablen
kende Kraft der Erdrotation hervorgebrachten Querschwingung berechnet sich rein statisch nach
der Formel:
n
4 (o b
g vn
.\g V .
n
2
Die Phase der Querschwingung ist gegenüber der der Längsschwingung um 3 h verschoben, denn
in einer stehenden Welle sind ja die horizontalen Geschwindigkeiten, die die Querschwingungen ver
anlassen, 3 h vor oder nach Hochwasser am stärksten. Man kann nun bei der Miteinbeziehung der
ablenkenden Kraft in die Berechnung der Gezeiten grundsätzlich zwei Wege einschlagen, um einen
Vergleich zwischen Theorie und Beobachtung herbeizuführen.
Einmal kann man, nachdem die Tidenhübe der Längsschwingung bekannt sind, den Hub der Quer
schwingung nach obiger Formel errechnen und die Querschwingung mit der Längsschwingung über
lagern, wobei man berücksichtigen muß, daß die Querschwingung an den beiden Küsten um 6 h von
einander verschiedene Phase hat. Man erhält dann für beide Küsten verschiedene Phasen, aber gleiche
Tidenhübe, und diese Ergebnisse kann man mit den Beobachtungen für beide Küsten vergleichen.
Man kann aber auch so vorgehen, daß man die vorhandenen Beobachtungsangaben als richtig unter
stellt und von diesen die rechnerisch ermittelte Mitschwingungsgezeit abzieht. Man behält dann als
Ergebnis die Wirkung der ablenkenden Kraft der Erdrotation übrig, diese kann man dann mit den
ebenfalls zu errechnenden Querschwingungen vergleichen. Man ermittelt also die Differenz: Beob
achtungen — theoretische Mitschwingungsgezeit. Diese Methode, die ihrem Wesen
nach der ersten eigentlich völlig gleich ist, wurde von v. Sterneck bei der Berechnung der Amphi-
dromie in der nördlichen Adria als einer Folgeerscheinung der ablenkenden Kraft der Erdrotation
mit Erfolg angewandt.
Auch hier wurde so vorgegangen, daß zuerst die Beobachtungen an den Küsten zusammenge
stellt wurden. Nun war ja vorher auf das Genaueste die Mitschwingungsgezeit der Hauptwelle und
der Belle Isle-Welle für das ganze Gebiet des inneren Golfs berechnet worden. Subtrahiert man nun
von den beobachteten Größen des Tidenhubs und der Phase an den einzelnen Stationen die Summe
der Haupt- und Belle Islewelle an dieser Stelle, so muß unter Vernachlässigung der geringen selbstän
digen Gezeiten als Ergebnis der reine Einfluß der ablenkenden Kraft der Erdrotation übrigbleiben,
die „isolierte Wirkung der ablenkenden Kraft der Erdrotation", in Tab. 14 ist die Rechnung für eine
Anzahl von Beobachtungsorten an der Südküste und an der Nordküste aufgeführi. Man ersieht, wie
an der Südküste, insbesondere an den Stellen, wo der Golf sich so stark verbreitert hat, die Ein
wirkung der ablenkenden Kraft sehr groß wird und in der Amplitude den Wert von 100 cm erheblich
überschreitet; an der N-Küste ist sie noch viel stärker bemerkbar, sie scheint hier stellenweise 200
cm im Hub zu erreichen. Längs dem Querschnitt 24, an dem der Nordzipfel ansetzt, wurden Phase und
lidenhub konstant angenommen.
Um einen Vergleich durchzuführen, wurde berechnet, welche Schiefstellung sich vermöge der
ablenkenden Kraft an einem jeden Querschnitt der Hauptwelle einstellen müßte. Eine Zusammen
stellung dieser Berechnung für die Querschnitte der Hauptwelle ist in Tab. 15 gegeben. Die Quer
schnitte 35 bis 38 wurden hierbei fortgelassen, da sich infolge des Nordzipfels an ihnen keine ge
nauen Werte von i : und von der Breite b, infolgedessen auch keine genauen Werte von T t an
geben lassen. Selbstverständlich mußte die Querschwingung bei den Querschnitten 25 bis 30
tür die Querschnittsteile im Norden von Anticosti in der Mingan-Straße und im Süden von Anticosti
getrennt ermittelt werden, — In der Tab, 15 sind die Querschnittsteile in der Mingan-Straße mit
25' bis 30' bezeichnet. Für den Querschnitt 31, an dem sich die Ostspitze von Anticosti erhebt, hat
es keinen Sinn, eine theoretische Querschwingung zu berechnen, da der Übergang sich in der Wirk
lichkeit nicht so plötzlich bemerkbar machen kann; denn mit der geringeren Breite nehmen nach
obiger Formel auch die Querschwingungen stark ab. Am wesentlichsten dürfte jedoch sein, daß für
einen ganzen Querschnitt gleiche Horizontalbewegungen angenommen wurden, was nur angenähert
der Fall sein wird, Abb. 10 zeigt in der voll ausgezogenen Kurve den Verlauf der Wirkung der Erd
rotation längs der Querschnitte 24 bis 44 der Hauptwelle an der Nordküste des Golfs. Die wenigen
Stationen von Anticosti sind mit Kreuzen eingetragen und schließen etwa beim Querschnitt 31 an
den Hauptverlauf an. Die theoretische Querschwingung ist durch die gestrichelte Linie dargestellt. An
den Querschnitten 24 bis 30 in der engen Mingan-Straße hält sie sich dicht am Verlauf der aus den
Beobachtungen gewonnenen geringen Werte und macht dann ebenfalls bei der großen Verbreiterung
auf den Querschnitt 32 die entsprechende Vergrößerung der Querschwingung mit; dieser Hub hält
sich bis Querschnitt 42 über 100 cm und fällt dann erst in der Cabot-Straße ab. An der Küste von
Anticosti müssen sich natürlich größere Hübe der Querschwingung zeigen als an der Nordküste der