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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. 53. Band. Nr. 2.
Zwischen dem Querschnitt 18 und 19 findet ein Vorzeichenwechsel statt. Hier befindet sich also eine
Knotenlinie der stehenden Mitschwingungswelle. Am Querschnitt 42 erhält man für den Tidenhub
einen Betrag von 2 > /r = 872,5 cm. Der wirkliche Hub ist dort 2 = 110 cm; also muß die ganze be
rechnete Verteilung der Tidenhübe mit ^ /ib =-!r—= 0,126 multipliziert werden. Die sich daraus er-
gebende Hubverteilung ist in der letzten Spalte von Tabelle 13 enthalten. Man bemerkt sofort, daß
die Belle Islewelle nur in einem verhältnismäßig kleinen Gebiet dicht bei der Mündung Amplituden
von wirksamer Größe hat. In dem weitaus größten Gebiet von Querschnitt 0 bis 30 sind die Ampli
tuden sehr gering. Die Phase ist an der Mündung _etwa 7 n , daher hat der südliche Teil der stehenden
Mitschwingungswelle an den Querschnitten 0 bis 18 die Phase l h . Erst an den Querschnitten kurz
vor der Belle Isle-Straße und in der Straße selbst wird die Belle isle-Gezeit wesentlich, wie bereits
bei der Behandlung der Gezeiten des Nordzipfels erwähnt wurde.
Wir haben also das Ergebnis, daß durch die Gezeiten im Ozean vor der Belle Isle-Straße im Golf
eine Welle erzeugt wird, die am inneren Ende bei der Nordküste der Prinz Eduard-Insel nur einen
Tidenhub von etwa 12 cm haben würde; und zwar bei der Annahme, daß der Golf an der Cabot-
Straße geschlossen sei. In Wirklichkeit müßte bei der Oeffnung der Cabot-Straße, also etwa beim
Querschnitt 15 die Belle Isle-Gezeit völlig verschwinden, mindestens wird sie aber wegen der offenen
Cabot-Straße im südlichen Teil des Golfs noch geringer sein, als bei der Berechnung unter der An
nahme einer geschlossenen Cabot-Straße sich ergeben hat.
7. Die Überlagerung der Hauptwelle mit der Belle Islewelle.
Krümmel hat die Ansicht geäußert, daß die Drehwelle im St. Lorenzgolf durch die Überlagerung
zweier senkrecht zueinander verlaufender stehender Wellen Zustandekommen solle. Um dies zu
prüfen, wurde die von der Cabot-Straße kommende Hauptwelle mit der Belle Islewelle überlagert.
Es ist für die Querschnitte der Hauptwelle Hub und Phase bekannt, desgleichen Hub und Phase an
den Querschnitten der Belle Islewelle. Man kann also die Überlagerung für alle Schnittpunkte der
Querschnitte der Belle Isle- und der Hauptwelle vollziehen. Dies wurde für eine genügend große
Anzahl von Schnittpunkten durchgeführt, die Ergebnisse wurden in eine Karte des Golfs an den
Schnittpunkten eingetragen. Nach den auf diese Weise erhaltenen Werten wurde versucht, die Flut
stundenlinien zu ziehen. Es ergab sich aber, daß die Drehwelle nur äußerst schwach entwickelt ist.
Die Rechnung zeigte, daß die Belle Islewelle sich fast nur dahin auswirkt, daß im NO- und SW-Teil
die Phase der Hauptwelle etwas verfrüht, in dem NW- und SO-Teil etwas verspätet wird. Nur an
den Querschnitten 37 und 38, also in unmittelbarer Nähe der Knotenlinie der Hauptwelle wirkt sich
die Belle Islewelle derart aus, daß die Knotenlinie der Hauptwelle in mehrere Flutstundenlinien auf
gelöst wird. So liegen beim südlichen Teil der Knotenlinie die 9 h , 10 h 11\ 0 h und l h -Linien dichtge
drängt beisammen, am nördlichen Teil nacheinander die 3 h , 4 h , 5 h , 6 h und 7 h -Linien. Es ergab sich
deutlich, daß die Welle im Sinne des Uhrzeigers dreht. Als am meisten in die Augen fallende Grund
tatsache der Laurentischen Gezeiten war aber die gut ausgeprägte Amphidromie erwähnt worden,
die sich nach den Beobachtungen ganz klar im linksläufigen Sinne gegen den Uhrzeiger um den
Drehpunkt herumbewegt. Wenn sich nun nach der Rechnung durch die Überlagerung der Hauptwelle
mit der Belle Islewelle eine mit dem Uhrzeiger drehende Amphidromie herausbildet, so kann daraus
nur die Folgerung gezogen werden, daß die Vermutung von Krümmel, die Amphidromie sei eine
böige der senkrecht zueinander in den beiden Hauptachsen sich überkreuzenden Haupt- und Belle
Isle-Welle bestimmt nicht zutrifft. Ein weiterer wesentlicher Grund ist, daß auch der Drehpunkt
nach den Beobachtungen nicht da liegen kann, wo er nach der Theorie auf dem Schnittpunkt der
beiden Knotenlinien sein müßte. Dieser Drehpunkt würde ungefähr bei 49° N und 60° W liegen, also
viel zu weit nördlich; der wahre Amphidromiepunkt muß viel weiter südlich nach den Magdalenen-
inseln zu liegen.
8. Die Wirkung der ablenkenden Kraft der Erdrotation.
Eine Übersicht über die bisher leider nur geringen Möglichkeiten, die ablenkende Kraft in die
Rechnung miteirizubeziehen, findet sich in; A. Defant, Gezeitenprobleme des Meeres in Landnähe,
S. 17 ff. und Denkschriften S. 95 ff.* Es soll deshalb hier nicht näher darauf eingegangen werden.
*) S. Lit £L u 7.