Haarnagel: Eine landschaftskundliche Untersuchung des Elbufers zwischen Glückstadt und Kollmar
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Als Teilform treten uns im Abbruchsufer die talbuchtartigen Einschnitte entgegen. Sie sind besonders
stark dort ausgebildet, wo Priele ins Watt münden. Hier hat sich das Wasser tief in das Vorland eingefressen.
Das Abbruchsufer ist bis zu den Grüppen vorgedrungen. Der Boden unter diesen ist lockerer und daher
nicht so widerstandsfähig. Die stärkere Auflockerung des Bodens erfolgt durch den Frost. Der Boden ist
hier feuchter, er kann daher auch mehr aufgelockert werden. Das Wasser wühlt sich zuerst unten in das
Ufer ein; dadurch bildet sich eine spitz zulaufende Höhle. Diese wird immer größer und schließlich stürzt
ihre Decke ein. Im Vorland ist so ein Einschnitt entstanden. (Siehe Bild 22 und 23).
Der so entstandene Einschnitt wird nun durch die Brandungswellen erweitert. Dies geschieht fol
gendermaßen: (zur Veranschaulichung werde ich den Einschnitt als ein Dreieck ABC darstellen).
Der Wellenkamm kommt heran und trifft dabei auf den Einschnitt ABC. Er wird bei den Punkten A
und B zerschnitten. Seine beiden äußeren Teile schlagen gegen das Ufer, der mittlere Teil aber von der
Länge AB versucht in den Einschnitt einzudringen (Figur 2). Dabei erfährt er aber eine Pressung, denn der
Einschnitt wird nach C hin immer enger. Der Wellen
kamm AB ist zu breit, er muß für seine Wassermassen
einen Ausweg suchen. Die Wasserteilchen, die am Rande
des Einschnitts entlang laufen, erfahren durch den ent
stehenden Druck trotz der größeren Reibung am Ufer
Skizze 9. Figur 1—3.
Skizze 10. Figur 4 und 5.
eine Beschleunigung und eilen den Wasserteilchen der Mitte voraus. Der Wellenkamm AB bildet dadurch
einen Bogen, der nach dem Ufer hin konkav ist (Figur 3). Der Bogen in Fig. 3 ist zur Veranschaulichung
übertrieben gezeichnet. Die vorauseilenden Wasserteilchen treffen sich schließlich bei dem Punkte C.
Hier schlagen sie mit solcher Wucht gegeneinander, daß eine hohe Wassersäule aufspritzt, die ihr Wasser
weit über das Vorland aussprüht. Der Spritzer entwickelt solche Kraft, daß er Erdstücke aus dem Ufer
losreißt und diese auf das Land schleudert.
Die nächstfolgende Welle gelangt nicht in den Einschnitt. Sie wird von dem zurückdrängenden Wasser
der ersten Welle schon vorher zum Brechen gebracht. Erst bei der dritten Welle wiederholt sich derselbe
Vorgang.
Durch die bogenförmige Bewegung des Wassers erhält der Einschnitt bei C eine Rundung. Er wird bald
zu einer runden Bucht.
Mit der obigen Darstellung gerate ich in einen ganz offensichtlichen Gegensatz zu Philippson, der
diesen Vorgang gerade entgegengesetzt darstellt. Er schildert den Vorgang folgendermaßen: „Beim Ein
dringen der Wellen in eine Bucht erleiden dieselben an den beiden Seitenufern der Bucht eine Hemmung
durch die Reibung an den Gestaden und dem seichten Ufergrund. Die Wellenkämme bilden daher beim
Eindringen in eine beliebig gestaltete Bucht Kurven, welche nach dem Meer zu konkav sind.“ (Fig. 5).
Ich kann dieser Theorie, die theoretisch ja sehr einleuchtend ist, nur mit meinen praktischen Fest
stellungen, die ich allerdings nur in meinem Gebiet vorgenommen habe, entgegentreten. Ich habe an Sturm
tagen oft an einer Bucht die Arbeit der Wellen beobachtet. Das fotografische Festlegen dieses Vorgangs war
mir unmöglich wegen der Spritzer. Außerdem scheint mir eine Kurve des Wellenkamms nach Philippson,