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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. 53. Band. Nr. 2.
St, Lorenztrichter ist ziemlich zur gleichen Zeit H. W., daher werden fast die ganzen Gebiete des
Trichters von der 2 h und 3 h -Linie eingeschlossen. Bei Father Point liegt die 2i& h -Linie, während
die 3 h -Linie sich dicht an der Mündung des River Saguenay befindet. Ist die Gestalt der Gezeit im
Trichter mit großer Annäherung durch eine stehende Welle mit konstanter Phase gegeben, so
nimmt diese oberhalb Father Point, also in der Spitze des Trichters und in der Flußmündung selbst
wieder mehr fortschreitenden Charakter an (Phase in Quebec 6 h ,6), — In der Belle Isle-Straße findet
eine Zusammendrängung der Flutstundenlinien statt, vor der Mündung in den offenen Ozean ist die
Hafenzeit etwa 7 h (Insel Belle Isle). Schließlich ist der Verlauf der Hafenzeit in der North-
umberland-Straße von Wichtigkeit. Schon Dawson hatte erkannt, daß in dieser Straße die Gezeiten
von den verschiedenen Phasen an den beiden Mündungen stark abhängen. An der westlichen Mün
dung ist die Phase 5 h , an der östlichen Mündung etwa 8Vj 1 \ Die Hafenzeit verspätet sich von der
Ostmündung her bis auf über 10 h in den zentralen Gegenden, etwa bei der Hillsborough-Bucht. Aber
auch von der Westmündung her verspätet sich die Gezeit im Verlaufe des engen westlichen Teiles
der Straße auf etwa 10 h bei Kap Tormentine. Das kurze Ende der Straße zwischen dem Richibucto
River und Kap Tormentine muß also die Flutstundenlinien von 5 h —IO 1 ' auf kleinem Raum zusam
mengedrängt haben. Aus mehreren Stationen der Südküste und auch der Nordküste lassen sich
diese Linien entwerfen. Gleichwohl überwiegen in dem Westteil der Straße die eintägigen Gezeiten
quantitativ weitaus über den halbtägigen.*)
Was die Tidenhübe bei einer Drehwelle anbetrifft, so sind diese längs den Küsten überall ziem
lich gleich hoch. Zum Zentrum der Drehwelle hin nehmen sie bekanntich auf 0 ab, Die beiden Sta
tionen der Magdalenen-lnsel haben nur einen sehr geringen Tidenhub von 80 oder 70 cm; dort wird
also in der Nähe das Zentrum der Amphidromie zu suchen sein.
Bemerkenswert ist das starke Ansteigen des Tidenhubs im St. Lorenztrichter. An der West
spitze von Anticosti, beim Beginn des Trichters ist die 2 m-Linie. Bei dem weiteren Eindringen
in den Trichter steigert sich der Hub nun immer mehr; bei Kap Chat liegt die 3m-Linie; bei Father-
Point ist ein Springtidenhub von genau 4 m zu verzeichnen, an der Saguenay-Mündung beträgt der
Hub über 4,5 m. Noch weiter oberhalb wird ein Tidenhub von 5 m bei der Coudres-Insel erreicht,
während der größte Hub mit 5,8 m bei Grosse Isle gemeldet wird. Quebec selbst hat etwa 5,5 m
mittleren Springtidenhub. — In der Chaleur-Bay steigert sich der Tidenhub ebenfalls beträchtlich
nach dem inneren Ende zu; der Springtidenhub in Dalhousie beträgt 2,6 m gegenüber 1,6 m an der
Mündung. — Die Tidenhübe der Northumberland-Straße sind an den Eingängen nur 1,0—1,1 m hoch,
doch erfahren sie in den mittleren Gegenden eine Steigerung. In Charlottetown beträgt der Spring
tidenhub 2,4 m.
Der Gesamtüberblick über die Beobachtungstatsachen zeigte, daß diese durchaus hinreichten,
um einen einheitlichen Verlauf für die ganze Gezeitenerscheinung im St. Lorenzgolf herauszu
finden.**)
II. Die Anwendung der hydrodynamischen Theorie
auf die Gezeiten des St. Lorenzgolfes.
Eine Methode, die zur Erklärung der Gezeitenerscheinungen in Nebenmeeren häufig angewandt
wurde, ist von v. Sterneck und A. D e f a n tentwickelt worden. Bisher sind nach ihr haupt
sächlich die Nebenmeere untersucht worden, die eine rechteckige Gestalt haben. Wenn nun der Ver
such gemacht werden sollte, nach dieser Methode auch den St. Lorenzgolf zu bearbeiten, so war
klar, daß eine physikalische Erklärung dieser Gezeiten wie bei den anderen Meeren so hier noch
viel mehr nur als eine Näherungs methode zu werten sein würde. Trotz der verwickelten
Gestalt des Golfs gelang es aber doch durch geschickte Aufteilung, zu befriedigenden Ergebnissen
zu gelangen. Die Hauptfrage war ferner die Prüfung der von der Belle Isle-Straße herrührenden
Gezeiten und der Frage, ob sie auf die Gestaltung der Gezeiten im Golf einen wesentlichen Einfluß
haben. Bezüglich der Theorie selbst sei auf die Abhandlungen von Defant verwiesen (S. Literatur
angabe 7. und 8.)
Infolge der verwickelten Gestalt des Golfs ist eine durchgehende Bearbeitung unmöglich. Es
müssen vielmehr, um Klarheit für ein Gesamtbild zu gewinnen, verschiedene von dem Hauptteil des
Golfs mehr abgetrennte Gebiete gesondert behandelt werden, (S. Karte II.)
*) Aus diesem Grunde wurden bei diesen Stationen die Angaben der vorletzten Ausgabe der Tide*Tables von 1920 benutzt.
**) Eine ausführliche Darstellung der Beobachtungstatsachen muß aus räumlichen Gründen unterbleiben; es sei hier auf die Literaturangaben verwiesen.