H aarnagel: Eine landschaftskundliche Untersuchung des Elbufers zwischen Glückstadt und Kollmar
2
Das Schlickwatt ist im Winter schon nach den ersten Frosttagen von einer feinen Eiskruste überzogen.
Am oberen Ende, also am Rethsaum, wird diese von der Flut nicht vernichtet. Sie bildet hier für die Eis
schollen eine gute Gleitfläche. Nach längerem Frost ist das Watt von großen und kleinen Packeisschollen
bedeckt. Die großen und schweren Packeisblöcke kommen allerdings wegen der Höhe des Watts nicht auf
dieses hinauf; sie haben sich bereits an der Gezeitenterrasse festgelaufen und überragen hier das Watt
manchmal um ein ganzes Meter. An sonnigen Frosttagen bietet das Watt mit seinen bunt durcheinander
geworfenen Eisschollen und den im Hintergrund in den Sonnenstrahlen weißleuchtenden Eisblöcken einen
schönen Anblick.
Das Watt selbst wird durch das Eis nicht angegriffen. Es findet vielmehr ein Aufschlicken statt. An
den Eisblöcken und Eisschollen erleidet die Wasserströmung eine Stauung, die zur Ablagerung der feinen
Sinkstoffe führt.
Im Frühjahr dagegen sieht das Watt sehr öde aus. Alles ist kahl, nur hin und wieder recken sich zer
borstene Rethhalme empor. Auf dem schlickigen Watt und in den Rethstoppeln liegen noch schlammige
Reste von Eisschollen umher. Das ganze Stillstandsvorlandwatt erscheint als eine graue, ausgestorbene
Landschaft. Aber schon Mitte April sieht das Landschaftsbild wieder freundlicher aus. Die Binse und das
Reth treiben ihre gelblich schimmernden Schößlinge hervor. Im Mai ist schon alles wieder von einem zarten
Grün überzogen, und im Juli hat das Reth wieder seine volle Höhe erreicht.
Am Schluß dieses Abschnitts will ich noch einmal auf die Priele zurückkommen. Ich habe im Stillstands
vorlandwatt längere Zeit hindurch die Priele beobachtet mit dem Ziel, die Ursachen festzustellen, die das
Mäandern der Priele veranlassen. Die Untersuchung hielt ich hier für besonders günstig, da doch im Schlick
watt der Priel auf die geringste Veränderung reagiert. Die folgende Darstellung beruht vollkommen auf
eigenen Beobachtungen. Ich hoffe, daß diese als Beitrag für die Mäanderforschung nicht ganz ohne Wert
sein werden.
Die Ursachen der Mäanderbildung bei den Prielen.
Ich werde gleich damit beginnen, die Beobachtungen nacheinander aufzuzählen:
1. Im Schlickwatt gibt es Priele, die, ohne Mäander zu bilden, in die Elbe fließen. Diese Priele
sind gewöhnlich nicht sehr tief eingeschnitten. Sie fließen in dem weichen Schlick. Dieser ist
ganz einheitlich aus feinen Tonteilchen zusammengesetzt. Er enthält keinen Sand, auch keine
größeren Humusreste. Die geraden Priele konnte ich nur bei Ostwind entdecken. Dieser weht
in der Richtung des fließenden Wassers der Priele. (Siehe Bild 9.)
2. Bei Wind aus allen anderen Richtungen sind keine geraden Priele zu finden. Bei West- und
Nordwestwind sind die Mäander der Priele besonders stark ausgebildet. Diese wehen dem ab
fließenden Wasser entgegen.
3. Fließt ein Priel in einem reinen Schlickwatt, das nur eine sehr geringe Böschung hat, sind stets
Mäander ausgebildet, auch bei Ostwind.
4. Sind im Schlick Sand oder größere Humusreste eingelagert, so sind stets Mäander ausgebildet.
Nur wenn das Watt eine sehr steile Böschung bildet, kann man auch hier gerade Priele be
obachten.
5. Ein Priel entwickelt außerdem Mäander, wenn er auf irgendwelche Unebenheiten im Watt
stößt, wie Mulden oder Erhöhungen.
6. Erhält ein Priel durch einen kleinen Nebenpriel Zufluß, so entsteht sofort hinter der Mündungs
stelle eine Mäanderung. (Siehe Bild 10.)
7. Wird einem geradelaufenden Priel ein Hindernis in den Weg gelegt, so beginnt er sofort, Bogen
zu schlagen. Die Bogen nehmen an Größe nach unten wieder ab, so daß das untere Ende des
Priels unter Umständen wieder gerade sein kann.
8. Bei keinem Priel waren die Bögen der Mäander vollkommen gleich.
Die Beobachtungen 1—3 zeigen, daß ein Priel bei genügender Böschung des Watts und in einer ein
heitlichen Bodenmasse durchaus einen geraden Lauf haben kann. Wenn aber durch irgendeine Kraft, wie
hier durch den Wind, eine Ablenkung oder Stauung der Strömung hervorgerufen wird, kommt sofort die
Mäanderbildung zustande. Beobachtung 3 läßt deutlich erkennen, daß eine träge Wasserströmung, obwohl
sie in einem einheitlichen Boden fließt, immer eine Mäanderbildung zur Folge hat. Ich erkläre mir diese
Tatsache folgendermaßen. In jedem Watt gibt es Unebenheiten. Das Wasser besitzt nicht mehr die Kraft
zu erodieren, es sucht daher jedem Hindernis aus dem Wege zu gehen. Es umfließt dieses und sucht jede
kleine Vertiefung im Watt auf. Bei der Suche nach dem bequemsten Weg erhält sein Lauf die Mäanderform.