Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte — 53. Band Nr. 6
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gerardi oder Scirpus pauciflorus) 1 ). In der Nähe des Rethsaums finden wir die hohe Simse (Scirpus tabernae-
montani) und die Dreikantsimse (Scirpus maritimus). Die hohe Simse und die niedrige Binse finden heute
keine Verwendung mehr. Früher wurden sie von dem Bauern geschnitten und als Viehfutter verwandt. Die
Dreikantsimse, die von den Bauern „Mugger“ genannt wird, wird noch heute geschnitten, getrocknet und
dient dann als Bastfaden beim Binden der Pferdebohnengarben.
Das schlickige Watt ist eine breite, nur schwach geböschte Schlickfläche, die an ihrem Rande ziemlich
steil zum Niedrigwasserspiegel abfällt. Seine Breite beträgt ungefähr 50—60 m. Am Rand des Watts hat
sich sehr deutlich eine Gezeitenterrasse ausgebildet. Das Watt liegt im Verhältnis zu den noch zu be
sprechenden Watten sehr hoch. Da die Ebbströmung hier nur in den letzten Stunden, die Flutströmung nur
in den ersten Stunden reißend ist, erfährt das hochliegende Stillstandswatt keinen starken Angriff. Bei
Hochwasser kommt es sogar zu einer Sedimentation. In der Praxis kann man dies daran erkennen, daß das
Watt am Rethsaum viel mehr dünnen Schlick besitzt als unten an der Gezeitenterrasse.
Eine sehr starke Sedimentation läßt sich im Watt bei Ostwind beobachten. Dieser steht der Ebb
strömung entgegen. Der Wind staut in diesem Fall den Ebbstrom, und es kommt auch bei Ebbe zu einer
Sedimentation. Das Watt ist an solchen Tagen von einer außergewöhnlich hohen Schlickschicht über
zogen. Diese kann nach mehreren Tagen eine Stärke von 40—60 cm erreichen. Aber schon bei der nächsten
Windänderung wird die Schlickschicht wieder weggeführt. Unter der weichen Schlickschicht finden wir
fast überall einen festen Schlickuntergrund.
Die einzigen erwähnenswerten Oberflächenformen im Watt sind die Priele. Wir haben von diesen zwei
Arten zu unterscheiden, nämlich die Tiefpriele und die Hochpriele. Unter Tiefprielen versteht man nach
Schwarz (siehe Literaturverzeichnis) einen Priel, der so tief liegt, daß er bei Niedrigwasser nicht ganz leer
läuft. Seine Erosionsbasis ist also auf den Niedrigwasserspiegel eingestellt. Der Hochpriel dagegen liegt über
dem Niedrigwasserspiegel. Er läuft bei Niedrigwasser ganz leer. Die Tiefpriele sind in unserm Gebiet die be
reits oben erwähnten Vorlandpriele. Sie durchlaufen das Watt in einem verhältnismäßig tiefen Bett.
Die Hochpriele sind im Vergleich zu den beiden anderen sehr klein. Sie haben auch im Gegensatz zu
den anderen ihren Ursprung im schlickigen Watt. Sie sind meist nicht tief eingeschnitten. Ihr Bett aber ist
verhältnismäßig breit. Wie Adern durchziehen sie das ganze Watt.
Sie vereinigen sich oft zu einem größeren Priel, und dieser führt das Wasser in die Elbe. Die kleinen
Priele verändern sich nach jeder Flut, nur die größeren behalten ihren Lauf bei.
Die Hoch-Priele erhalten den Zufluß an Wasser aus Vertiefungen im Watt oder durch kleine Priele,
die das Wasser von der Wattoberfläche aufnehmen. Nach Wrage würde man diese im ersten Fall „Priele mit
Beckenquellen“, im zweiten Fall „Priele mit Aderquellen“ nennen. Am Schluß des Abschnitts werde ich
noch einmal auf die Priele zurückkommen.
x. Das Stillstandsvorlandwatt im Winter und Frühjahr.
Das Watt hat durch das Abmähen des Rethsaums ein recht kahles Aussehen erhalten. Vom Vorland
und Deich aus hat man jetzt einen freienBlick auf das schlickige Watt. An einigen Stellen aber ist das Reth
nicht abgemäht worden. Hier hat das Ufer statt des grünen einen gelben Saum erhalten. Aber auch die
letzten Rethhalme werden bald vernichtet.
Nach einer Woche starken Frostes beginnt auf der Elbe das Eistreiben. Jedesmal, wenn das Watt bei
Ebbe frei wird, wird über ihm eine dünne Eisschicht gebildet. Der Flutstrom aber zerstückelt die Eisdecke
wieder und reißt die entstandenen Eisschollen mit sich. Diese werden übereinandergeschoben und frieren
zusammen. So entstehen schließlich dicke Packeisschollen, die durch den Flut- und Ebbstrom am Ufer
auf und abgetrieben werden. Die nicht allzu starken Schollen werden bei Flut durch Wind und Strömung
in die Rethhalden gedrückt. Sie vernichten den letzten Rethbestand. Man spricht bei diesem Vorgang ge
wöhnlich von einem Abschneiden des Reths. Dieser Ausdruck gibt aber ein falsches Bild, denn der Vorgang
vollzieht sich folgendermaßen:
Um jeden Rethhalm hat sich bis zur Höhe des mittleren Hochwassers eine Eiskruste gebildet. Diese
macht den Halm so spröde, daß er schon beim geringsten Anstoß wie Glas zerbricht. Ich habe beobachten
können, daß bei starkem Sturm ganze Rethflächen umgeknickt wurden. Es läßt sich daher leicht vor
stellen, welche Vernichtung erst die Eisschollen im Reth anrichten. Es wäre daher richtiger, bei einer Dar
stellung von einem Brechen, nicht von einem Schneiden des Reths durch Eisschollen zu sprechen. (Siehe
Bild 8.)
*) Die angeführten Pflanzen sind von Herrn Dr. Kolumbe bestimmt worden, der mir das Ergebnis freundlicher
Weise zur Verfügung gestellt hat.