Ger hart Schinze: Die praktische Wetteranalyse.
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rollungslinie“ (meist die AF) nordostwärts in die Kaltmasse hineinarbeitend vom Balkan quer durch
Deutschland nach den Britischen Inseln erstreckt. Der osteuropäische Kaltluftblock stellt dabei fast
immer einen nach West verschobenen Teil der sowohl thermisch wie auch dynamisch bedingten sibiri
schen Antizyklone dar, die sich bei dieser Lage häufig über Südskandinavien bis nadi dem Osten der
Britischen Inseln ausdehnt. In der Frontalzone bilden sich an der AF Wellenstörungen aus, die sich nur
langsam nordwestwärts fortpflanzen; denn so lange sich die aktive Kaltmasse und damit auch die ther
mische, kalte Antizyklone über Osteuropa befindet, ist die Wellenfortpflanzungsrichtung der Translation
entgegengesetzt. Hierbei tritt nicht selten der Fall ein, daß Wellenfortpflanzungsgeschwindigkeit und
Translation sich aufheben und somit im Gegensaß zum NW-Typ, wo Wellenfortpflanzung und Trans
lation gleichgerichtet sind, sich beim SE-Typ fast stilliegende Wellenstörungen ausbilden. Nordöstlich
der quasistationären Front kommt es zum Teil zu ergiebigen Aufgleitniederschlägen, die in Nord
west- und Norddeutschland (speziell Brandenburg und Pommern) die stärksten winterlichen Schnee
fälle (z. T. Schneestürme) verursachen. Im eigentlichen Grenzgebiet der Kaltluft und Warmluft am
Boden stellt sich bei dieser Lage in Sachsen und Schlesien dagegen häufig Nebelnässen, Nieseln, Glatteis
und leichtes Tauwetter ein. Bei dieser Wetterlage, sowie bei dem schon vorher erwähnten Wärmeein
bruch des W-Typus (W 1) wird in den Gebieten, die in der Grenzzone zwischen AL und PL liegen, außer
der Glatteisbildung am Boden besonders auch gefährliche Flugzeugvereisung begünstigt (vgl. Vereisungs
thetagramm S. 38). Im Südwesten Deutschlands, der sich nicht selten sogar im Bereiche der eigentlichen
TW unter gleichzeitiger Föhnwirkung befindet, erreichen dann die Temperaturen für die Jahreszeit sehr
hohe Werte. Das von Südwest nach Nordost gerichtete Temperaturgefälle ist dabei in Deutsch
land meist ungewöhnlich groß, da beide Hauptfrontalzonen (AF und PF) sich auf engem Raume von Süd
ost nach Nordwest quer durch Mitteleuropa erstrecken, wobei Nord- und Nordostdeutschland in der cAK,
Südwestdeutschland dagegen in der TW sich befindet. Der SE-Typ ist der Repräsentant für die dem mittel
europäischen Klima eigentümlichen, fast regelmäßig wiederkehrenden winterlichen Wärmerückfälle, so
besonders Anfang Dezember.
Beim Übergang in die wärmere Jahreszeit mit aufhörencler Kaltluftproduktion über Osteuropa tritt
dann eine zunehmende Temperaturangleichung am Boden auf beiden Seiten der Abrollungslinie ein, wo
durch im Temperaturfeld die Frontalzone sich mehr und mehr abschwächt bzw. verwischt. Zum Schluß
sind die entstehenden Wellenstörungen (S. Chromow 14) nur noch als von SE nach NW treibende schwache
Störungsreste (Warmluftschalen) im Isallobarenfeld als Fallgebiet, und im Hydrometeoren- und Wolken-
felcl als Aufzugsbewölkung und kleine, zusammenhängende Niederschlagsgebiete nachweisbar. Diese
haben besonders für die deutsche Ostseeküste, Dänemark und das südliche Norwegen große diagnostische
und prognostische Bedeutung. Die Warmluftschalen, die nördlich der Karpathen- und Sudetenkette beim
SE-Typ nur als Wolkensysteme (Aufzugsbewölkung) auftreten, regenerieren dabei sehr leicht heim Auf
treffen auf die im Spätfrühjahr über der Ostsee und Skandinavien häufig noch vorhandenen, typisch aus
geprägten arktischen Kaltluftmassen. Im Ostseegebiet kommt es dann nicht selten zu stürmischen Ost
winden und kräftigen Schneefällen, die beim Hinzukommen von Stauwirkung der Ostseite der siidskan-
dinavischen Gebirge besonders starke Schneefälle (bzw. Niederschläge überhaupt) bringen.
Y. Luftmassenanalyse und Wetterregeln.
In den bisherigen Abschnitten wurden die praktischen Erfahrungen einer luftmassenmäßigen Analyse
der Wetterkarte beschrieben und auf empirisch gefundene Resultate einer Luftmassendiagnose einge
gangen. Im folgenden, vorletzten Abschnitt soll nun versucht werden, einen Teil der in der meteorologischen
Praxis in Jahrzehnten gesammelten reichen Erfahrungen, die wir in der Form von „Wetterregeln“ in der
Literatur verstreut finden, mit Hilfe einer luftmassenmäßigen Betrachtungsweise dem Praktiker zu
sammenfassend darzustellen. Bereits im Jahre 1921 wurde in dieser Richtung von E. G. Calwagen und
dem Verfasser ein erster Versuch der Zusammenstellung von Wetterregeln und Fronten unternommen und
als Geburtstagsgabe Prof. Bjerknes überreicht 13. Die Regeln für die meteorologische Diagnose und
Prognose, die als Ausdruck langjähriger Erfahrungstatsachen aufzufassen sind, stehen im wesentlichen
ohne inneren Zusammenhang. Mit Hilfe einer luftmassenmäßigen Arbeitsmethode dürfte es jedoch mög-