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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. — 52. Bd. Nr. 1.
Vier Großwetterlagen.
1. West- (WSW bis W) Typ.
In einem über Mitteleuropa etwa westöstlieh (bzw., speziell bei Fall W 1, auch ostwestlich) gerichteten
Strömungs- und Isobarenfehl haben Kaltluftmassen eine „Abrollungslinie“ (eine Hauptfrontalzone, bzw.
die wesentlichste dynamisch wichtige Trennungslinie) zwischen den Kaltluft- und Warmluftmassen
gebildet. Diese kälteren Luftmassen entstammen dabei je nach Wetterlage und Jahreszeit entweder
maritim-subpolaren oder arktischen Gebieten und kreisen häufig um ein sich ausfüllendes, bereits ver
wirbeltes Zentraltief einer ganzen Störungsserie. Mit der Zeit werden hierbei die Kaltfronten isobaren
parallel und an der Evolute kommt es späterhin meist zu Zyklogenese einer neuen Störungsserie. Für
die Diagnose ist es nun von ausschlaggebender Bedeutung, wie weit nach Süden die (subpolaren bzw. ark
tischen) Kaltluftmassen hinabreichen. Besonders wirksam ist der Westtyp im Frühling und Herbst. Im
Mittwinter ist dagegen die Eigenkaltluft-Produktion der Pyrenäen-, Alpen- und Karpathenkette (PAK-
Kette) und der ihr vorgelagerten Mittelgebirge derart stark, daß bei einer sehr südlichen Lage der Ab
rollungslinie (bzw. „Schleifzone“) (vgl. auch Moese und Schinze 32) in Mitteleuropa die eigentliche Warm
masse wenig wirksam ist. Infolge ausgedehnter Bodenkaltluftschichten kommt also die Warmluft nicht
voll zur Geltung und dadurch wird auch die Abrollungslinie bzw. Schleifzone wenig in Erscheinung treten.
Im Herbst und Frühling dagegen ist die Wirksamkeit dieser Trennungslinie in Mitteleuropa besonders
groß, worauf der speziell über dem mittleren Europa in dieser Jahreszeit normale westöstliche Isothermen
verlauf bereits hinweist. Auch bei rein druckmäßiger Betrachtung erkennen wir dies schon aus der Häufig
keit der vielen barometrischen Minima, die auf der van Bebber’schen Zugstraße IVa und IVb wandern.
Bis zu einem gewissen Grade gilt dies für die Übergangsjahreszeiten auch für die Zugstraße V, doch dar
über findet sich weiteres unter Süd-Typ. Der Westtyp kommt auch im Sommer vor, dann sind aber
besonders Fall 4 und 5 sehr wenig ausgeprägt, da die Produktion von arktischer Kaltluft bei der fast an
haltenden Einstrahlung (Mitternachtssonne) über die Polarkalotte gar nicht oder nur sehr schwach vor
sich geht, so daß in den Monaten Juli und August nur in sehr seltenen Fällen arktische Kaltluft bis
nach Mitteleuropa vordringt (vgl. auch Schinze 50). Im allgemeinen haben wir es daher in der wärmeren
Jahreszeit in Mitteleuropa mit maritim-subpolarer Kaltluft zu tun. Aus dem gleichen Grunde sind auch in
der warmen Jahreszeit die Zyklonen erheblich schwächer ausgebildet und zyklonale Stürme über große
Gebiete sehr selten, und größere Windstärken treten fast nur in fortschreitenden Gewittersturmböen auf.
Auch ist im Sommer die Zyklonentätigkeit (Störungstätigkeit) trotj der großen Wärmeunterschiede der
untersten Schichten nur sehr gering (vgl. a. Bodenüberhitjungsschieht). Dies ist eine gute Stütje der Ber-
gener Anschauungen, daß die Kaltmasse überwiegend die Ursache (auslösende Kraft) der Störungstätigkeit
(Neubildung, Zyklonenbildung, Tiefdruckbildung) ist, wobei durch Senkung des Schwerpunktes der Kalt
masse potentielle Energie in kinetische Energie umgewandelt wird.
Fall Wl.
Die Kaltluftmassen überdecken den größten Teil Mitteleuropas, die „Abrollungslinie“ (Abb. 17) ist
besonders wirksam im Frühling und Herbst, im Winter dagegen wenig ausgeprägt, da die subtropische
Warmluft (meist maritim-subtropische Warmluft) durch die Kaltluftproduktion der Gebirgsketten
(Pyrenäen, Alpen, Karpathen) wenig effektiv ist. Besonders zu überwachen ist das Gebiet der Azoren
(Horta W la) und Nordwestspanien (La Coruña W lb), da hei Fall W 1 hier die Hauptentstehungsgebiete
der Störungszentren (Neubildungen) sich befinden. Die hier gebildeten Störungen bzw. Zyklonen be
wegen sich überwiegend ost- bis ostnordostwärts und ziehen dabei quer durch Mitteleuropa südlicher, aber
parallel zur van Bebber’schen Zugstraße IV. Die für Mittelfrankreich und Westdeutschland gefährlichsten
Hochwasser (Rheinhochwasser) gehören dem Typ W 1 an, wobei die Abrollungslinie als Schleifzone viel
fach quasistationär wird und zu sehr lang anhaltenden „quasistationären“ Aufgleitniederschlägen führt.