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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. — 52. Bd. Nr. 4.
Man hat nach diesem Ergebnis weniger den Eindruck einer einfachen thermischen Antizyklone mit
darüberliegender Zyklone, die durch ihr Einströmungssystem die Kontinuität aufrecht erhält, welche
durch das antizyklonale Ausströmen gefährdet würde. Es ist wahrscheinlicher, daß sehr hochliegende
Luftschichten, die vielleicht schon der Stratosphäre angehören, „angezapft“ werden und so das anti
zyklonale Ausfließen am Boden speisen helfen. Es würde sich dann nicht um eine geschlossene Zir
kulation handeln, sondern die unten ausströmenden Luftmassen würden durch solche völlig anderer
Herkunft ersetzt. Für diese Annahme spricht auch die geringe Dicke der ausfließenden Ost- bis Süd
ostwindschicht (1 km).
Es wäre auch möglich, daß das grönländische System durch Zirkulation um vertikale Achsen in
Gang gehalten würde. Man muß dann an Einbrüche ozeanischer Luft denken, die, auf das Inlandeis her
aufgebracht, das dort beobachtete „Wetter“ erzeugt. Bisweilen sich über Wochen erstreckende Anomalien
der Höhenströmungen würden für derartige Erscheinungen einer quantenhaften Zirkulation um vertikale
Achsen sprechen. Gegen eine solche Annahme spricht unter anderem die Tatsache, daß das in Fig. 18
(Tafel 8) gezeigte zweijährige Mittel sich gut mit einem antizyklonalen System vereinbaren läßt. Man
kann auch nicht sagen, daß gewisse Luftströme gewisse Regionen bevorzugen, denn einmal ist dies
beim grönländischen Inlandeise mit seinen ebenen Formen unwahrscheinlich und dann lieferten die vom
21. September 1912 bis zum 31. März 1913 durch die Expedition de Quervain in Godthavn angestellten
Pilotenaufstiege ein dem amerikanischen zweijährigen Mittel durchaus entsprechendes Resultat.
Ein Beispiel, das gegen ein antizyklonales System spricht, bildet die Baumannsche Aufstiegserie,
deren vektorielle Mittel in .Fig- 19 (Tafel 3) dargestellt sind, und zwar in Form einzelner Höheninter
valle, die mit konstanter Geschwindigkeit und Richtung gedacht sind, so daß Treppenkurven entstehen.
Am Boden zeigt sich in der Baumannschen Aufstiegsserie eine ganz flache, wohl monsunartige,
NNE-Windschicht. Sie ist knapp 1000 m dick. Dann folgt eine vom Inlandeis heraus wehende Wind
schicht, die von etwa 1000 bis 3000 m zu rechnen ist, also eine Mächtigkeit von 2000 m hat. Darüber folgt
nun eine fast völlige kontinuierliche Drehung über Norden bis nach NW, welche Richtung etwa bei 10
bis 11000 m erreicht wird. Bis 3000 m ist die Richtung normal. Der weitere „normale“ Verlauf wäre
eine Drehung über Süden auf westliche Richtungen. Anstatt dessen dreht der Wind aber über Norden.
Aus diesen Tatsachen folgt, daß während des 24tägigen, während keines Tages aussetzenden
Pilotierens, in der Höhe (d. h. oberhalb etwa 3000 m) im Mittel ein nach dem Inlandeise hin gerichteter
Druckgradient vorhanden war. Antizyklonale Windrichtungen, die im Südwestquadranten liegen müßten,
fehlen völlig.
Für ein 24tägiges Mittel erscheint dies doch sehr bemerkenswert. Das Grönländische Zirkulations
system kann also (zumindest im südlichen Teile des Landes) wochenlang von seiner „normalen“ Form
abweichen. Dies scheint aber nur für den südlichen Teil des Landes möglich zu sein, denn bei den
Amerikanern, die weiter nördlich im Holstenborg-Distrikt arbeiteten und in ihrer Veröffentlichung
Monat für Monat darstellten 27 ), konnte ein solcher Fall nicht ermittelt werden. Dies erscheint um so
merkwürdiger, als ihre Station etwa in der Mitte zwischen Godthaab und Godhavn lag. Nur in den
breiteren nördlichen Teilen Grönlands kann anscheinend die Inlandeisantizyklone dem Antsurm der
nordatlantischen Zyklonentätigkeit standhalten. Dem Süden wird oft sein aerologischer Bau von den
Luftdruckgebilden des Nordatlantik auf gezwungen. Diese „Fremdherrschaft“ kann, wie die Baumannschen
Aufstiege zeigen, wochenlang dauern. Hier kann man vielleicht doch von Zirkulation um vertikale
Achsen reden, während für die breiten nördlichen Gebiete ein antizyklonales System der oben
geschilderten Art wahrscheinlicher erscheint.
Es soll deshalb versucht werden, für diese in der Fig. 20 (Tafel 3) ein Zirkulations- und allgemein
meteorologisches Schema in Form eines ostwestlichen Querschnittes zu entwerfen, das zwar keinen
27 ) Siehe 26 ).