Lorenz Steiner: Die soziahvirtschaftl. Aufgaben u. Leistungen d. Deutsch, öffentl. Wetterdienstes 31
Wetterbezirke, nämlich Westen, Süden und Osten von Island, zu unterscheiden sind, hat sich die Berücksich
tigung der telephonisch gegebenen Wetterlage sehr bewährt, da durch wenige Dampfstunden bereits ein
anderer Wetterbezirk erreichbar ist“.
Erläuternd hierzu bemerkt Dr. Perlewitz 43 ), daß mehrfach Fischdampfer infolge von Sturmwarnungen
rechtzeitig unter Island ihr Fanggebiet verlassen konnten und der Fall eintrat, daß andere Dampfer, welche
in ihrer Nähe fischten, jedoch keine Hochseerundfunkempfänger hatten, bis zu 5 Tagen beigedreht liegen
mußten, während der rechtzeitig nach einem anderen Wetterbezirk Islands abgefahrene Dampfer längst sei
ne Ladung in Aberdeen gelöscht hatte und bereits auf der Rückfahrt nach Island war“.
Ein Beispiel über die Verwertung der Kenntnis der Wetterlage muß hier besonders hervorgehoben wer
den. Ihm gebührt — nach C'astens 44 ) — ein dauernder Platz in der Geschichte der deutschen Wirtschafts-
Meteorologie, weil es in so hervorragendem Maße weitsichtigen, unverkennbar vom freienMeere beeinflußten
„kaufmännischen Geist“ im besten Sinne des Wortes zeigt: Der „Wachdienst für clenFischereihafen in Geeste
münde“ ließ sich wirksam unterstützt von dem „Wirtschaftlichen Verband der Deutschen Hochseefischerei E.
V.“ schon seit 1924 alltäglich morgens und abends eingehend über die Wind- und Wetterverhältnisse an zahl
reichen Stellen der Nordsee und des Europäischen Nordmeeres berichten. Da damals der fischereiwirtschaft-
liche Wetterdienst bei weitem nicht so ausgebaut war wie heute, da vor allem die allgemeinen Wetternach
richten lange nicht in dem Maßstabe zur Verbreitung kamen, wie es heute der Fall ist, bot gerade diese Son
derberatung durch den Wetterdienst die Ausnutzung all der oben geschilderten Chancen und damit einen be
deutenden wirtschaftlichen Vorsprung gegenüber allen denen, die den Wert einer solchen Beratung noch nicht
erkannt hatten.
c) „Wohr Di wenn De Blanke Hans kummt“, lautet die Inschrift am Eingang des Pegelturmes der St.
Pauli-Landungsbrücken in Hamburg. Sie soll auf die Gefahr hinweisen, die dem Hamburger Hafen, seinen
Bewohnern und seiner Umgebung von der Nordsee her droht, wenn heftige Stürme aus nordwestlichen Rich
tungen große Wassermassen in die Elbe hineintreiben. Doch nicht nur für das Elbegebiet, auch für die ganze
weitgeöffnete deutsche Bucht, deren Küste dem Winde in langer gerader Linie entgegensteht, gilt dieser
Spruch. Die an der Meeresküste und den Flußmündungen gelegenen Niederungen oder Marschen, die sich
gewöhnlich nur wenig über das mittlere Hochwasser erheben, werden zwar gegen Überschwemmungen durch
Sturmfluten durch Deichanlagen geschützt, die eine geregelte Bewirtschaftung der eingedeichten Ländereien
und einen geregelten Verkehr mit ihnen ermöglichen sollen. Doch nicht überall können die Deiche in solchen
Abmessungen angelegt werden, daß sie jeder Sturmflut Trotz zu bieten imstande sind.
Von dem für die Volkswirtschaft wichtigen Gesichtspunkte ausgehend, daß bei einer einzigen rechtzeitig
vorhergesagten Sturmflut schon an einem Ort dem Volksvermögen durch vermiedene Schäden mehr erspart
werden kann, als ein solcher Vorhersagedienst innerhalb mehrerer Jahre an Kosten verursacht, wurde nach
dem Kriege ein Sturmflutwarnungsdienst ins Leben gerufen. Dies war umsomehr erforderlich als nach einer
Statistik, die die Jahre 1841 bis 1924 umfaßt, eine Sturmflut in der Nordsee etwa alle 50 Tage eintritt 45 ), ein
also durchaus nicht seltenes Ereignis darstellt.
Der Sturmflutwarnungsdienst hat die Aufgabe, die Wasserbau- und Deichämter sowie die Bevölkerung
an der deutschen Nordseeküste und im Mündungsgebiet der Flüsse rechtzeitig vor dem Eintritt von Sturm
fluten zu warnen, hauptsächlich aber durch zuverlässige und rechtzeitige Sturmflutvoraussagungen den Be
wohnern der gefährdeten Gebiete Zeit zu geben, schnell noch zu retten, was zu retten ist. Nachdem sich durch
wissenschaftliche Untersuchungen eine Abhängigkeit der Wasserstände vomWitterungsverlauf über der Nord
see hat nachweisen lassen, sind solche Voraussagen von innerhalb des nächsten halben oder ganzen Tages
eintretenclen Sturmfluten auch möglich. Den besten Beweis hierfür liefert die Tatsache, daß im Jahre 1926
die Deutsche Seewarte bereits 30 Stunden vor Eintritt der gewaltigen Sturmflut ihre Warnungen erlassen hat.
Da ein zuverlässiger Sturmflutwarnungsdienst nur durch die enge Zusammenarbeit von Meteorologie und
Hydrographie ausgeführt werden kann und auf der Deutschen Seewarte beideWissensgebiete gepflegt werden,
sie daher wie kein anderes Institut zur Wahrnehmung dieses Dienstes in der Lage ist, wurde ihr auch der
Sturmflutwarnungsdienst übertragen. Die Warnungen werden von der Gezeitenabteilung herausgegeben, die
auch die Untersuchungen über den Einfluß der Wetterlage auf die Wasserstände der deutschen Nordsee durch
führt. Die Unterlagen für die zu gebenden Warnungen bildet eine Wetterkarte der Nordsee, die von der Wet
43 ) Perlewitz: „Bedeutung der Meteorologie für die Landwirtschaft“ aus „Erde und Wirtschaft" 1930, Seite 64.
44 ) Castens: a. a. O. Seite 128.
45 ) Rausdielbach: „Die Sturmfluten der Nordsee und der Sturmflutwarnungsdienst der Deutschen Seewarte“
aus: „Aus dem Arbeitsbereidi der Deutschen Seewarte“. Hamburg 1925. Seite 33.