Dr. Karl-Heinrich Wagner: Die unechten Zylinderprojektionen.
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Um sich einen Überblick über die auftretenden Flächenverzerrungen zu verschaffen, müssen wir erst einmal
den Entwurf selber und dann die längentreuen Parallelkreise bestimmen. Wir wenden aus Gründen, wie sie bei
der allgemeinen Besprechung der abstandstreuen Entwürfe auf S. 62. dargelegt sind, einen Entwurf mit trans
zendenter Meridianfunktion an. Die Entwürfe mit transzendenter Meridianfunktion sind diejenigen unter den
abstandstreuen Entwürfen, die eine geringere Flächenverzerrung, aber etwas größere Winkelverzerrung aufweisen.
Die geringere Flächenverzerrung ist hier aber von größerem Wert. Von diesen kommt dann nur der Entwurf mit
COS'
<P
oder mit cos
in Frage. Diese beiden Meridianfunktionen sind praktisch völlig gleichzusetzen. Ich habe
hier den Entwurf mit cos
gewählt.
Der wichtigste und größte Teil des darzustellenden Gebietes liegt innerhalb einer Zone von wenig über 2mal 30°.
Ostbrasilien liegt allerdings weiter öslich bis 45° vom Grundkreis. Dieser Teil kommt aber in unmittelbare Nähe
des Projektionsmittelmeridians, auf dem ja das gut abgebildete Gebiet seine größte Breite hat. so daß man diese
eine Stelle bei der Bestimmung der längentreuen Parallelkreise vernachläßigen kann. Nach den Ergebnissen der
Untersuchung über die Konstanten legen wir die längentreuen Parallelkreise in. 20° Entfernung vom Grundkreis.
Dies gibt für den gewählten Entwurf ein n — 0,9655 . .. Wir haben also am Äquator eine Flächenverzerrung
von noch nicht ganz 3,5%. Auf dem 30. Parallelkreis ergibt sich eine Flächenverzerrung von S - - 1,054 ^5%.
Eine Flächenverzerrung in diesem Ausmaße, fällt natürlich gar nicht auf. Wie wird es mm mit der europäischen
Ecke ? Die äußersten mit zur Darstellung kommenden Teile Südeuropas zwischen dem 40. und 50. Breitenkreis
kommen auch im transversalen Netz in ungefähr 40°—50° Abstand vom Grundkreis zu liegen. Die entsprechenden
Verzerrungswerte sind: S i0 — 1.113 und S 5o = 1,26. Das heißt also, in diesem Gebiet werden die Flächen um
11—26% vergrößert, 26% aber nur am äußersten Rande der Karte. Die für den Vergleich mit Amerika wichtigen
Teile Nord-und Westeuropas dagegen liegen noch alle unter S — 1,113^ 11%. Flächenverzerrungen von diesem
Ausmaß sind aber durchaus noch statthaft. Es kann also ohne Bedenken ein vermittelnder Entwurf angewendet
werden, und dies ist auch bei der Karte von Nord u. Südamerika (Taf. 2) geschehen.
Ich habe diese beiden Beispiele angeführt und kurz skizziert, um die praktische Verwendbarkeit der imechten
Zylinderprojektionen auch für Ausschnitte der Erdoberfläche zu beweisen, und um damit den praktischen Wert
der gesamten vorliegenden Untersuchung zu begründen. Diese wenigen Worte über die beiden speziellen Anwen
dungen können natürlich nicht als endgültige Darstellung des Problems der Abbildung der beiden Gebiete ange
sehen werden. Es fehlt da noch im wesentlichen eine vergleichende Kritik zwischen verschiedenen Vertretern
aus unserer Gruppe und auch anderer Prjektionsgruppen, Diese umfangreiche Arbeit kann aber nur Aufgabe
einer speziellen Untersuchung sein. Aber die Grundlage für eine solche Untersuchung, evtl, auch noch für- andere
Gebiete, was die unechten Zylinderprojektionen anbelangt, ist die genaue Kenntnis dieser Projektionsgruppe
mit allen ihren Eigenarten. Vorläufig sind solche spezielle Untersuchungen für die Praxis gar nicht so notwendig,
denn es lassen sich die Vorteile der unechten Zylinderprojektionen vor anderen für die angeführten Zwecke auch
ohne diese erkennen. Der Leitgedanke bei der ganzen vorliegenden Untersuchung war, die Anwendung der un
echten Zylinderprojektionen soweit vorzubereiten, daß die Kartographie ohn großen Aufwand sich die Vorteile
der Netze zunutze machen kann.