Dr. Karl-Heinrich Wagner: Die unechten Zylinderprojektionen.
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Die englischen Anregungen 1929/30
In der letzten Zeit sind eine ganze Menge Anregungen von Bedeutung für unser Gebiet von englischer Seite
erfolgt. März 1929 veröffentlicht S. W. Boggs 1 ein Kombinationsnetz, das ein Mittel darstellt zwischen der Mercator-
Sanson-Projektion und der Mollweide Projektion. Der Verfasser bildet das arithmetische Mittel aus den Parallel
kreisabständen der beiden Projektionen und bestimmt dann die Form der Meridiane so, daß Flächentreue erzielt
wird.
Der Autor rechnet vor allem zu den Vorteilen seiner Projektion, die er „Eumorphic-Projektion“ nennt, daß die
Verkleinerung des Längenmaßstabes auf dem Äquator geringer ist als bei Mollweide, daß ferner bis cp co60° die
Abweichung von der Abstandstreue weniger bemerkbar ist als bei Mollweide, und daß ferner die Winkelverzerrung
im größten Teil der Projektionsfläche geringer ist als bei Mercator-Sanson. Einem Vorschlag Goodes folgend 2
bringt er die Projektion auch mit mehreren Hauptmeridianen, die in die Mitte der Erdteile gelegt sind. Die ge
schlossene Darstellung des Erdbildes wird aber dadurch unterbrochen.
Die Überlegenheit dieses Entwurfs über die Mercator-Sanson-Projektion ist einleuchtend, doch dürfte der Moll
weidesche Entwurf die Konkurrenz aushalten. Bemerkenswert ist hier jedenfalls das Verfahren, ähnlich wie bei
den Winkelschen Projektionen, aus zwei bestehenden Entwürfen einen dritten zu gewinnen. Es ist dies ein weiteres
Beispiel dafür, wieviel Möglichkeiten die unechten Zylinderprojektionen bieten, um zu neuen Entwürfen zu kommen.
Die Verallgemeinerung der vorstehenden Abhandlung finden wir in derselben Zeitschrift durch I. E. E. Craster 3 -
Der Verfasser zeigt, daß der eben beschriebene Fall nur ein herausgegriffener Spezialfall aus der unendlichen Menge
von Möglichkeiten ist, zur Darstellung der Meridiane einer unechten Zylinderprojektion beliebige Kurven zu ver
wenden, so wie Tissot in seiner Definition angibt. Wenn Craster noch etwas ausführlicher das Problem behandelt
hätte, und auch die Entwürfe mit einer Pollinie berücksichtigt hätte, dann wäre er wahrscheinlich dazu gekommen,
eine allgemeine Form der unechten Zylinderprojektionen zu finden. So aber begnügte er sich damit zu zeigen, daß
außer der Sinuslinie bei Mercator-Sanson, der Ellipse bei Mollweide und der durch Kombination beider entstan
denen Kurve auch noch die Hyperbel und die Parabel herangezogen werden kann.
Er stellt eine Reihe von Entwürfen auf, die von der Mercator-Sanson-Projektion ausgehend über die verschiedenen
angeführten Kegelschnitte bei der Mollweide-Projektion endet. Er selbst führt an, daß diese Reihe nur Beispiele
aus der unendlichen Anzahl möglicher Entwürfe sein sollen 4 . Es ist dies eine sehr beachtenswerte Arbeit, die zeigt,
daß es heute keine große Leistung mehr ist, in dieser Projektionsgruppe zu immer neuen Entwürfen zu kommen.
Gerade diese Arbeit macht daher auf das Fehlen einer allgemeinen Form der unecht zylindrischen Entwürfe auf
merksam, in der die einzelnen Fälle nur durch Einsetzen der gewünschten Meridianfunktion sich sofort ergeben.
3. Abschnitt
Die Problemstellung
Überblicken wir noch einmal in großen Zügen die geschichtliche Entwicklung. Die frühesten Entwürfe bis zur
Mercator-Sanson-Projektion haben aller Wahrscheinlichkeit nach ihr Entstehen einem mehr oder weniger starken
Probieren zu verdanken. Die Mercator-Sanson-Projektion gehört mit zu den ersten flächentreuen Entwürfen über
haupt, doch ist bei diesem Netz die Flächentreue auch nur eine zufällige Beigabe. Sie ist keinesfalls beabsichtigt
gewesen. Erst mit dem Mollweideschen Netz haben wir den ersten auf exaktem mathematischen Wege hergeleiteten
Vertreter unserer Gruppe. Von 1805 an ist dann unsere Projektionsgruppe vielseitig erweitert worden, und in
jüngster Zeit mit Eckert, Winkel und den Engländern sind es nicht mehr einzelne Entwürfe, sondern ganze Gruppen,
die behandelt werden. Bei Winkel finden wir außer den ersten unechten „Schnitt“zylindern auch zum ersten Male
die Erkenntnis, daß die unechten Zylinderprojektionen ein sehr willkommenes Hilfsmittel zur Darstellung breiter
Kugelzonen, ganz gleich, in welcher Richtung sich die Kugelzone erstreckt, sind. Diese Tatsache ist leider von der
Praxis nicht genug beachtet worden, denn die Anwendung der unechten Zylinderprojektionen in dieser Weise,
1 Geographical Journal 1929, S. 241.
2 Goodes Atlas, Chicago. Goode nennt seine Projektion, die nichts weiter ist als eine Mollweide-Projektion mit mehreren Haupt
meridianen, „Interrupted Homalographic Projektion“. Goodes Bezeichnung seiner Projektion als „the best projection of the World“
scheint mir etwas übertrieben.
3 Geographical Journal, Nov. 1929, 8.471.
i Geographical Journal, Nov. 1929, S. 243 unten: „From the results of foregoing Investigation it is clear that is it possible to
construct an „infinit“ number of equal-area projeotions, which are intermediate betwecn the Sanson and the Mollweide.“