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Dr. Karl-Heinrich Wagner: Die unechten Zylinderprojektionen.
Hammers Arbeit aus dem Jahre 1900
Diese Idee greift E. v. Hammer 10 Jahre später auf und gleichzeitig an 1 . Er führt die Anregung für die Mercator-
Sanson-Projektion durch und knüpft kritische Betrachtungen an diese Methode der Gewinnung besserer unecht
zylindrischer Entwürfe. Hammer bildet aus den Meridianen der echten Zylinderabwicklung im berührenden
Falle und den Meridianen der Mercator-Sanson-Projektion das arithmetische Mittel und bestimmt die Abstände
der Parallelkreise so, daß Flächentreue gewahrt bleibt.
Es tritt hier zum zweiten Male bei einer unechten Zylinderprojektion eine Pollinie auf, hier nun allerdings nicht
zufällig wie bei Apianus I., sondern zwangsläufig durch die Bildung des arithmetischen Mittels. Diese Tatsache ist
allerdings bei Hammer mit keinem Wort erwähnt. Die Tatsache, daß durch eine mittlere Konvergenz 2 der Meridiane
bei der vorliegenden Art von Entwürfen eine bessere Verteilung der Verzerrungen auf das Gesamtbild erzielt werden
kann, ist damals noch nicht erkannt worden.
Hammer verneint von vornherein den pratischen Wert dieser Art Entwürfe und glaubt auch die Möglichkeit
einer erfolgreichen Weiterentwicklung dieser Methode verneinen zu müssen 3 . Und gerade dieser kleine Artikel
hätte der Ausgangspunkt zur Weiterentwicklung der unechten Zylinderprojektionen sein können. Ob nun die ab
lehnende Haltung Hammers oder ob das fehlende Bedürfnis im allgemeinen Schuld daran ist, daß die Hammerschen
Anregungen nicht aufgegriffen wurden, mag dahingestellt bleiben.
Hie Projektionen von Eckert 1906
Im Jahre 1906 erscheinen nun Eckerts Entwürfe 4 . Es sind sechs Entwürfe in Gruppen von je zwei. Allen sechs
liegt das gleiche Gerüst zugrunde. Das wesentlichste daran ist, daß zur besseren Abbildung der polaren Gebiete
gegen die bisherigen Formen ganz bewußt der Pol nicht als Punkt, sondern als Linie von halber Äquatorlänge
abgebildet wird. Sechzehn Jahre nach Nell findet also dessen Idee erst Eingang in die Praxis. Ob diese Idee bei
der Entstehung der Entwürfe maßgebend beteiligt war, oder ob Eckerts Gedankengang selbständig war, geht aus
seiner Arbeit nicht hervor 5 . Jedenfalls bleibt die Tatsache bestehen, daß Eckerts Entwürfe von der Praxis als sehr
brauchbar erkannt und viel angewendet wurden.
Die ersten beiden Entwürfe haben geradlinige Meridiane, III und IV elliptische Meridiane, und V und VI sinus-
linige Meridiane 6 . Der erste Entwurf einer jeden Gruppe ist abstandsgleich und totalflächentreu 7 . Zu jedem dieser
Entwürfe wird auch der entsprechende flächentreue Entwurf durch Variation der Parallelkreisabstände hergeleitet 8 .
Interessant ist, daß Eckert zur Herleitung der Entwürfe V und VI erst eine Hilfsfläche, eine Kreisringfläche, be
nutzt, und diese Entwürfe auch Kreisringprojektionen nennt. Wenn Eckert die Zugehörigkeit seiner Netze zu den
1 Petermanns Mitteilungen 1900, S. 42.
2 Unter mittlerer Konvergenz wollen wir im folgenden immer verstehen, daß ein Entwurf die Konvergenz der Meridiane auf der
Kugel wohl berücksichtigt, den Pol aber trotzdem noch als eine Linie kleiner als der Äquator darstellt.
3 Pet. Mitt. 1900, S. 42: „Daß also auf dem von Nell versuchten Wege überhaupt etwas zu erreichen ist, ist erst nachzuweisen.“
Ebenda S. 44: „Vielleicht hat sich aber ein Leser dieser Zeitschrift genügend für die vorstehende Untersuchung interessiert,
um den angedeuteten Weg auch für den allgemeinen Eall der Nellschen Projektion (<p 0 = beliebig) zu verfolgen; es ist dies mehr
mühsam als schwierig und das Ergebnis als ein im wesentlichen negatives im voraus zu übersehen.
4 Petermanns Mitteilungen 1906, S. 97.
5 Eckert hat sehr wohl in seiner Arbeit und auch nochmals später in dem Aufsatz „Die Kartenprojektion“, Geogr. Zeitschr. 1910,
die Überlegungen erörtert, die ihn zur Aufstellung seiner Entw'ürfe veranlaßt haben. Es waren dies unter anderem hauptsächlich
Forderungen der Wirtschaftsgeographie, die für viele Darstellungen die am Pol zu stark gedrängten Teile der Mercator-Sanson-Proj.,
der Mollweidesehen Proj. und der Hammerschen Proj. nicht gebrauchen kann. Ferner war es der Kampf gegen die Mercatorkarte,
die damals für alle möglichen geographischen Darstellungen herangezogen wurde, für die sie aber völlig ungeeignet war. Es ist mit
obiger Bemerkung gemeint, daß es aus Eckerts Arbeit nicht hervorgeht, ob die Nellschen Ideen bei den „mathematisch-theore
tischen“ Überlegungen Eckerts verwendet wurden.
6 In Zöppritz-Bludau, S. 214 ist bei der Behandlung dieser Gruppe ein kleiner Irrtum unterlaufen. Bei den Entwürfen V und VI
sind je nach Annahme der Y-Richtung entweder alle Meridiane Cosinuskurven oder alle Arcuscosinuskurven. Es ist natürlich nicht
möglich, daß nur der Grenzmeridian eine arcos-Kurve ist, während alle übrigen oos-Kurven sein sollen. Es ist ferner bemerkenswert,
daß Zöppritz-Bludau die Eckertschen Entwürfe nicht zur Gruppe der unechtzylindrischen zählt, sondern sie gesondert behandelt.
7 Unter „totallläohentreu“ soll auch künftighin verstanden werden, daß wohl die Gesamtfläche der Projektion der dargestellten
Erdoberfläche gleich ist, daß aber Flächentreue in den kleinsten Teilen nicht vorhanden ist. So ist ja auch der Gang der Herleitung
des Mollweideschen Entwurfs. Erst wird die Ellipse als ganzes der Erdoberfläche gleich gemacht. Dies liefert einen dem Entwurf
Eckert III entsprechenden abstandsgleichen Entwurf.
8 Die mathematische Herleitung der Entwürfe vgl. in Eckerts Originalarbeit, in Zöppritz-Bludau, S. 201 ff. bzw. im mathemati
schen Teil dieser Arbeit.