Dr. Erich Wohlenberg: Die Grüne Insel in der Eidermündung u&w.
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Die Betrachtung dieser Diatomeenhaut lehrt, daß sie aus mehreren Schichten zusammen
gesetzt ist, und daß die Algen eine schleimige Grundmasse ausscheiden. Diese stellt ihr engeres,
gemeinsames Lebensgebiet dar. Jedes Individuum ist befähigt, sich ruckweise und gleitend fort
zubewegen. Das ist für den Ablauf der Landbildung von der größten Bedeutung (wie Schütte
bereits mitgeteilt hat). Sobald die Sinkstoffe während des Hochwassers abgesetzt worden sind,
arbeiten sich die winzigen Algen sofort durch dieselben von unten hindurch und nehmen die
Oberfläche wieder ein. Dadurch wird das soeben niedergeschlagene noch lockere Sediment von
der zusammenhängenden Diatomeenhaut bedeckt und gegen die ersten störenden Eingriffe der
Wasserbewegung geschützt. Dieser Vorgang wiederholt sich bei jeder Tide. Die Diatomeen
assoziation arbeitet wie ein einheitliches Ganzes.
Ob die Schichtung der Diatomeenhaut in direkte Beziehung und Abhängigkeit zum Ge
zeitenrhythmus zu setzen ist, müßte durch Experimente erwiesen werden. Vermutlich stellt jede
Schicht im blätterigen Aufbau des Diatomeenrasens den jeweils nach jeder Sedimentation
von den Algen verlassenen alten Horizont dar. Zwischen den Horizonten liegen fein
körnige Sedimente. Mit dem oben geschilderten Einnehmen der Oberfläche müßte dann
regelmäßig eine Erneuerung der schleimigen Substanz handinhandgehen. Bezeichnend für
die unterhalb der Oberschicht liegenden Lamellen ist die Individuenarmut und das
Absterben der Diatomeen, das in der Zersetzung des Plasmas erkennbar wird. Würde sich der
blätterige Aufbau des Diatomeenrasens auf solche Weise begründen und herleiten lassen, dann
läge eine typische Tidenschichtung vor. Damit würde dann indirekt, nämlich auf dem
Umwege über die Diatomeenassoziation, die normale Gezeitenschichtung, die am
Sediment selbst immer noch nicht nachgewiesen werden konnte, endlich erwiesen sein.
Diese Ortsveränderung der Diatomeen ist wahrscheinlich eine phototaktisch bedingte
Bewegung. Sie befähigt die Algen, jeweils den Raum einzunehmen, der ihnen optimale Lebens
bedingungen gewährt. Ob aber dieser Bewegungsvorgang lediglich einen phototaktisch beding
ten Reizvorgang darstellt, oder ob die Bewegung außerdem durch die auf die Algen herabfallen
den Sedimentteilchen (Quarzkörnchen usw.) eine seismonastische ist, mithin durch eine Kombi
nation von Phototaxis und Seismonastie hervorgerufen wird, müßte durch Sedimen
tationsversuche erwiesen werden, und zwar wären dieselben unter Ausschaltung jeglicher Licht
reize — also im Dunkeln — im Wattaquarium anzustellen.
b) Einfluß der Diatomeen auf die physikalischen, chemischen und ökologischen Verhältnisse
des besiedelten Bodens.
Erlangt der Diatomeenrasen diese zusammenhängende, häutige Ausbildung, so treten grund
legende Veränderungen in den Bodeneigenschaften auf. Sonnenstrahlen, Luft, Wind und Nieder
schläge werden während der Hauptvegetationsmonate der Algen (August—November) als ökolo
gische Faktoren weitgehend ausgeschaltet. Infolgedessen setzt eine starke Entwicklung der Fäulnis
bakterien ein, und alle organischen Bestandteile der jeweils zur Ablagerung gelangten Sinkstoffe
verfallen sofort einem intensiven Fäulnisprozeß. Nebenher geht eine starke Anreicherung von
amorphem Eisensulfidhydrat (Hydrotroilit, vergl. Wetzel Nordelbingen Bd. 4, 5. 297).
Dieses kolloidale Schwefeleisen verursacht das tiefschwarzblaue Pigment der unter Luft
abschluß befindlichen Sedimente. Nach Berührung mit der Luft geht die dunkle Farbe durch
Oxydation des Eisens in kurzer Zeit in eine braune über. Nach Wetzel bewirkt der Schwefel
wasserstoff als Fäulnisgas die Ausfällung des Eisens aus dem Bodenwasser des Wattenmeers.
Unterhalb der Diatomeendecke kommt es zur Bildung einer etwa 1—2 mm starken rostroten
Eisenhydroxydschicht. Es ist wahrscheinlich, daß dieser Oxydationsvorgang durch die Berührung
mit dem Wasser, durch die Stoffwechselgase der Bakterien sowohl als vor allem der Diatomeen
(Assimilationssauerstoff) gefördert wird.