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Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. — Band 50. Heft 2.
Nur hin und wieder dagegen wird die gerade Linie des Eiderstedter Deiches von hohen
Baumkronen oder auch von den hochragenden Strohdächern der H au b a r g e, das sind die
alteiderstedter Wohn- und Wirtschaftsgebäude, unterbrochen. Wie Inseln liegen die Haubarge
— stets umsäumt von einem dichten Kranz hoher Eschen oder Pappeln — in der weiten
Ebene, deren sattes Grün vom Mai bis zum Oktober von dem rotbunten Vieh der Eiderstedter
belebt wird. Der Haubarg ist das Zeichen der vor dreihundert Jahren durch holländische Sied
ler begründeten Wohlhabenheit und der Ordnung und ist das Sinnbild für die nach außen hin
streng abgeschlossene Eiderstedter Kultur geworden.
Das Gebiet zwischen dem Eiderstedter und dem Dithmarscher Deich ist der Flußmündungs
raum der Eider, ln dieses Wirkungsfeld teilen sich Fluß und Meer, wenn auch, wie weiter unten
gezeigt werden wird, nicht zu gleichen Teilen. Innerhalb der einfassenden Deiche mäandriert die
Eider während ihres ganzen Laufes fast bis an das Meer. Sie erreicht dieses in einer breiten
Kinne, die bei Hochwasser vollständig aufgefüllt wird, derart, daß die Wasserfläche einheitlich von
Deich zu Deich reicht. (Fig. la.) Nach Eintritt der Ebbe verändert sich das Landschaftsbild voll
kommen. Der Ebbstrom schafft das von der Flut aus der offenen Nordsee heraufgeschaffte Was
ser wieder in die See zurück. Der Wasserspiegel im Mündungstrichter hat sich nunmehr um mehr
als zweieinhalb Meter gegenüber dem Hochwasserspiegel gesenkt, und das Aestuar wird jetzt bei
Niedrigwasser von zahlreichen, stetig sich verändernden Sänden und Platen unregelmäßig ge
gliedert. (Fig. lb.)
Von den Stromrinnen her wölben sich die Uferwatten in mehr und weniger schwachem
Anstieg nach den Deichen hin, und die allseitig von Wasser umgebenen Platen tauchen kaum
merklich als flache Schilde und Rücken aus dem Wasser auf. Das Erkennen der Sände ist
bei bestimmten Beleuchtungsverhältnissen oft schwer genug, weil der nasse Sand bezw. Sand
schlick fast in der gleichen Weise die Farben des Himmels reflektiert wie das Wasser. Ein
Zeichen aber kann das guirlandenförmige Band der Vögel (Austernfischer, Möven und Strand
läufer) sein, die mit Vorliebe oft die jeweilige Grenze zwischen Sand und Wasser in charakte
ristischer Weise säumen.
Zielsetzung der Arbeit und Methode.
Es ist das Ziel der vorliegenden Arbeit, den natürlichen Entwicklungsverlauf
der Landbildung auf Grund der in dem besprochenen Gebiet angestellten Beobachtungen
und Untersuchungen darzustellen. Es wird der Versuch unternommen, den gesamten Ablauf der
verschiedenen Entwicklungsstufen durch entwicklungs - physiologische Betrachtungsweise zu er
fassen. Die Untersuchungen nehmen ihren Ausgang vom Wasser und führen über die Watten
zur begrünten Landoberfläche. Der Uebergang vom Wasserraum zum Landraum soll uns als
Grenzgebiet vor allem beschäftigen. Es ist jene Stufe, die die mannigfaltigsten Kräfte erkennen
läßt. Die in Anwendung gebrachte Methode ist daher nicht rein beschreibend, sondern alle Ge
sichtspunkte sind auf den Ablauf der Lebenserscheinungen gerichtet, mithin physiologisch und
genetisch orientiert. r i ■
Die hier betrachtete Landschaft ist das Wirkungsfeld einer Gesamtheit von eng mitein
ander gekoppelten Kräften ganz verschiedenen Charakters. Die regen Wechselbeziehungen
zwischen dem Organischen und Mineralischen stehen zusammen mit den physikalischen Kräften
des Wassers, des Bodens, und der Atmosphäre im Vordergrund der Arbeit. Die Durchführung
dieser Methode macht die Betrachtung des kleinen Raumes notwendig. Das Organische führt
zu biologischen Fragestellungen. Sie finden hier aber nur so weit Erörterung, als sie zum Ver
ständnis der durch die Lebewesen im Raum verursachten Veränderungen erforderlich sind. Es