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Erwin Dinies: Luftkörper - Klimatologie.
I. Klimadarstellung durch Luftkörper.
Die Lage Mitteleuropas bringt es mit sich, daß seine Witterung, sein Klima von zwei Zirkulations
systemen beherrscht wird. In den mittleren geographischen Breiten spielt sich der Kampf ab zwischen
polarem und äquatorialem System. Wir kennen seine Wirkungen in den Vorder- und Rückseiten der tiefen
vom atlantischen Ozean hereinziehenden Depressionen. Diesem Zirkulationssystem Pol-Aequator über
lagert sich ein zweites, das durch das thermisch verschiedene Verhalten von Land und Meer verursacht
ist. Es ist die Erscheinung des Monsuns. Gerade das Zusammenspiel der beiden Austauschsysteme macht
unsere Witterung so vielseitig und mannigfaltig. Die wechselnden Luftdruckgebilde verfrachten Luft
massen verschiedener Herkunft nach Europa, sie bringen aus ihrer Heimat ihre Eigenschaften mit und
verursachen in extremen Fällen eine für die Jahreszeit oft ungewöhnliche Witterung. Diese ist mehr
oder weniger sprunghaft, je nach dem Unterschied der Luftmasseneigenschaften. Daher ist auch das
Klima, das Intregral des Wetters über einen längeren Zeitraum, nidit einheitlich, sondern zusammenge-
setjt aus den Klimaten der einzelnen Luftkörper verschiedenen Ursprungs. Unser Klima ist ein „Kollek-
tivklima“ aus ozeanischen, kontinentalen, tropischen und polaren Elementen. Ein Beispiel soll dies
veranschaulichen: Figur 1 zeigt den Verlauf der Temperatur, des Dampfdruckes und der relativen Feuch
tigkeit im Monat Oktober 1928 in Frankfurt a. Main. Darin bedeutet PM polar-maritime Luft, TM tro
pisch-maritime Luft, M rein-maritime Luft, PC polar-kontinentale Luft, X Mischluft. Es ist sofort ersicht
lich, wie jedem einzelnen Luftkörper bestimmte Werte zugehören, die nur durch Strahlungseinflüsse
etwas variieren; so gehört zu PM am Anfang des Monats eine mittlere Temperatur zwischen 8 und 9 Grad,
auch am Ende des Monats findet sich bei PM dieselbe Temperatur wieder. Die beiden Perioden mit TM
haben eine Tagesmitteltemperatur von über 12 Grad. M liegt etwa zwischen PM und TM. Die starke
Temperaturerniedrigung in der Mitte des Monats wird durch PC verursacht. Die herangeführten Luft
massen werden nach und nach immer kälter, wie aus dem Abfalle der Temperaturkurve ersichtlich ist.
Die übliche Mittel- und Summenbildung von den Klimaelementen sagt nicht viel aus, da aus ihr nicht
hervorgeht, wie diese Werte entstanden sind. So wird in unserem Beispiel der Temperaturrückgang durch
PC durch die beiden Perioden mit TM wieder ausgeglichen, so daß das Monatsmittel um 0,4 Grad über
Normal liegt. Dann entspricht die erwähnte Darstellung nicht ganz der Wirklichkeit, da hierbei die klima
tischen Elemente, wie überhaupt alle W'itterungserscheinungen, die zeitlich und ursächlich unbedingt zu
sammengehören, auseinander gerissen werden. Ein viel exakteres und naturgetreueres Bild erhält man,
wenn der Gesamtkomplex der Witterungserscheinungen erfaßt wird, so wie er einer Luftmasse be
stimmter Herkunft, dem „L u f t k ö r p e r“, zugehört.
Die Analyse des Klimas nach einzelnen Elementen ist wirklichkeitsfremd. Denn die Natur ist nicht
mit den mittleren und summarischen Werten der Einzelelemente verknüpft, sondern mit den jeweiligen
Zuständen der umgebenden Luft. Es ist daher nicht zufällig, daß gerade von den biologischen Wissen
schaften erkannt wurde, daß es nicht auf den Einfluß von Temperatur, Feuchtigkeit, Wind, Sonnenstrahlung
in ihrer Einzel Wirkung ankommt, sondern in ihrer Gesamtwirkung. Diese Erkenntnis führte
zur Einführung neuer klimatischer Größen, wie Abkühlungsgröße, Verdunstungsgröße, Austrocknungs
größe. Diese Größen enthalten gleichzeitig die Wirkung mehrerer Faktoren. Sie ergeben ein neues,
physikalisch bestimmbares Maß für mehrere Eigenschaften der Luft zusammen.
Es ist nicht verwunderlich, daß der erste Vorschlag, bei Krankheitsstatistiken nicht die einzelnen
Elemente, sondern nach Herkunft der Luft unterschiedene „Wettertypen“ zugrunde zu legen, von einem
Arzt ausging. Schon 1909 hat Felix Blumenfeld in Wiesbaden an wenig zugänglicher Stelle 1 ) die
1 ) F. B 1 u m e n f e 1 d: Zur Methodik der Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Wetter und Krankheit. Baineo
logische Studien und ärztliche Erfahrungen aus Wiesbaden. Neue Folge. Hcransgegeben von E. Pfeiffer. Wiesbaden,
J. F. Bergmann, 1909.