G. Baumann: Strömlingseinfluß des mitteldeutschen Gebirgsrandes und seine Bedeutung iür die Flugmeteorologie dieses Gebietes
Verfasser hat ähnlidhes selbst erlebt auf einem Fluge Hannover—Frankfurt in der Möwe D 1404, Flug
zeugführer Bohner. Die Windrichtung war Nordost, die Windgeschwindigkeit betrug 6 bis 8 msk. Beim
Überfliegen des Gebirgsrandes (Deister, Kammhöhe 350 m) wurde die Maschine in 1300 m Höhe plötzlich
um etwa 100 m gehoben. Diese Vertikalböe trat ganz unerwartet über dem Deisterkamm auf, während
sonst keine Luftunruhe zu bemerken war. Auch in diesem Falle äußerte sich der kräftige Aufwind bis in
fünffache Höhe des eigentlichen Hindernisses. Der sonst vollkommen „ruhige“ Flug zwischen 1300 und
1500 m Höhe war wohl eine Folge davon, daß der Flug außerhalb der Brandungszone durchgeführt wurde.
Sehr auffallend war, daß trotz Überquerens mehrerer Höhenzüge auf der ganzen Strecke Hannover—Frank
furt nur die eine kräftige Steigböe am Deister, also am Gebirgsrand, beobachtet wurde. Demnach kommt
dem Gebirgsrand in bezug auf Aufwinde erhöhte Bedeutung zu. Vielleicht ist entscheidend dafür das An
wachsen der Brandungszone am Gebirgsrande. Über dem Mittelgebirge selbst wird die Brandungszone kon
stante Höhe haben, da die Bodenreibung größenordnungsmäßig die gleiche bleibt. Eine wesentliche
Höhendifferenz der Obergrenze der Brandungszone kann aber nur im Ubergangsgebiet vom Flach
land zum Bergland auftreten. Damit verbunden ist eine Hebung der laminaren Strömung nach Art der
Potentialströmung oberhalb der Brandungszone. Die auf diese Weise entstehende Vertikalkomponente
könnte der Anlaß der einmaligen Böe im oben geschilderten Beispiel gewesen sein. In der Annahme,
daß ein am Gebirgsrand gebildeter Niveau-Unterschied der Brandungszone von größerem Einfluß auf die
Strömung sei, möchte man von einer „virtuellen Höhe“ des Gebirgsrandes sprechen, ähnlich der vir
tuellen Reibung, wobei auch die Turbulenz berücksichtigt ist.
Innerhalb der Brandungszone sind die Vertikalbewegungen naturgemäß wesentlich stärker und un
regelmäßiger. Nach Möglichkeit werden diese turbulenten Zonen von Fliegern gemieden, doch oftmals zwingt
eine tiefe Wolkendecke zu niedrigem Fluge. Hierüber liegen nun einige sehr interessante Berichte von
Flugzeugführern vor, die die außergewöhnliche Böigkeit am Gebirgsrande schildern. Aus seiner jahrelangen
Erfahrung auf der Strecke Berlin—Köln wußte Flugzeugführer Rotschinka von zwei Hauptzentren
der Böigkeit zu berichten, die einer dreimotorigen Junkers G 24 schon fast zum Verhängnis geworden wäre.
Als diese Hauptzentren der Böigkeit stellten sich der Nordwesthang des Harzes bei Seesen und die
Umgebung des Ith heraus. Rotschinka führte mehrere Fälle an, in denen die Maschine den Winden
vollkommen ausgeliefert war: Starke Winde nördlicher Komponente bei geschlossener Wolkendecke, die nur
einen Raum von etwa 100 bis 200 m zum Uberfliegen der Gebirgskämme frei läßt, also den Piloten zwingen,
die turbulenteste Schicht auszuwählen, waren am gefahrvollsten.
Neben den üblichen Stauerscheinungen bezeichnete Rotschinka diese beiden Böigkeitszentren als die
größten Gefahrenmomente der ihm bei allen Wetterlagen gut bekannten Strecke Berlin—Köln.
Die Erfahrungen, die auf den von Hannover nach dem Süden führenden Strecken gesammelt wurden,
decken sich vollkommen damit. Allgemein bekannt ist die Tatsache, daß auf dem mittleren Teil der Strecke
Hannover—Kassel im allgemeinen die stärksten Winde angetroffen werden. Flugzeugführer Schnee
hage hat auf dem Fluge Kassel—Hannover des öfteren erlebt, daß in der Breite Karlshafen—Hameln
wesentlich stärkere Winde herrschten als nördlich und südlich dieser Zone. Diese lokale Windzunahme ist
sicher allein auf die am Gebirgsrand auftretende Beschleunigung infolge des Zusammendrängens der Strom
linien zurückzuführen, die sich auch in den Karten der Geschwindigkeitsverteilung gerade für dieses Ge
biet hat feststellen lassen. Die mit der Windzunahme erhöhte Böigkeit erreicht oftmals derartige Ausmaße,
daß ein Überqueren des Gebirgsrandes unmöglich ist, selbst wenn sonst im allgemeinen Flugmöglichkeit be
steht. Verfasser erinnert sich mehrerer Fälle des Herbstes 1929, wo Maschinen (Type Möwe und Junkers
F 13) bei stürmischen Winden den Flug über das Gebirge antraten, aber wegen übermäßiger Böigkeit in der
Gegend des Ith zur Rückkehr gezwungen wurden.
Übrigens ist sehr interessant, daß auch in diesem Zusammenhänge die Umgebung des Ith und der West
hang des Harzes, deren markante Strömungsbeeinflussung bereits aus den Strömungskarten erkannt wurde,
besonders hervorzuheben sind.
Aus diesen Beispielen geht hervor, welch großen Einfluß der Gebirgsrand auf Vertikalbe
wegungen ausübt, sei es nun, daß bei nördlichen Winden die Strömung beim Auftreffen auf das Ge
birge gehoben und infolge der vergrößerten Reibung stark turbulent wird oder bei westlichen und östlichen