40
Aus dem Archiv der Deutschen Seewarte. — 49. Bd. Nr. 9
6. Aufwinde und Böigkeit am Mittelgebirgsrand.
Vertikalbewegungen, wie sie durch Luv- und Leewirbel hervorgerufen werden, sind bereits erwähnt
worden.
Bis vor wenigen Jahren war über Intensität und Mächtigkeit der Aufwinde wenig bekannt. Gelegent
lich einiger Ballonfahrten wurden Hangwindstudien betrieben, desgleichen an Hinderniswolken und Auf
heiterungszonen. Erhebliche Fortschritte brachten in jüngster Zeit die Segelflugforschung und die Fliegerei
überhaupt. Was die Methode der Wolkenbeobachtung angeht, so ist gerade der Mittelgebirgsrand außer
ordentlich reich an Beispielen. Es hat sich gezeigt, daß die wolkenauflösende Wirkung absinkender Luft
(Lee) sich nidit auf die niedrigen Wolken beschränkt, sondern häufig bis in das Alto-Stratus-Niveau herauf
reicht. Die leeseitige „Abtrocknung“ der Str-Cu-Schicht ist zeitweise bis zur Aller zu verfolgen, dagegen
sind Aufheiterungszonen und lent-Formen der Alto-Stratus-Schicht nur dicht hinter dem Gebirgsrand zu
beobachten, allenfalls bis in die Breite von Hannover reichend. Diese Leezonen sind fast regelmäßig dann
vorhanden, wenn an der Vorderseite einer herannahenden atlantischen Depression kräftige südliche Winde
wehen und eine hohe Aufgleitbewölkung Westdeutschland überzieht. Danach bedingt der etwa 400 m hohe
Gebirgsrand selbst in 4000 m Höhe noch merkliche Stromlinienkrümmungen.
Von größerer Bedeutung für die Fliegerei sind die Vertikalströme der unteren Luftschichten, die natur
gemäß von ganz anderer Größenordnung sind und oftmals an starke Böigkeit grenzende Beschleunigungen
annehmen. Dabei ist nicht gedacht an die Böigkeit innerhalb der Turbulenzzone, sondern an das plötz
liche Gehobenwerden der Maschine in dem am Gebirgsrand auf steigenden Luftstrom (R eibungs-
a u f w i n d). In den meisten Fällen wird es so sein, daß sich Turbulenz der unteren Luftschichten und Auf
wind überlagern. Die Geländeunterschiede des Berglandes bewirken eine sehr viel größere vertikale Ausdeh
nung der Turbulenz, so daß deren Obergrenze weit höher liegt als die der Turbulenz über der Ebene. Diese
Höhendifferenz der Turbulenzobergrenzen wird im allgemeinen beträchtlich größer sein als der Niveau
unterschied zwischen Flachland und Gebirgsrand selbst. Daraus läßt sich vielleicht die Krümmung der
Stromlinien bis ins 4000 m-Niveau erklären.
Eine vortreffliche Aufwindbeobachtung wurde von dem Flugzeugführer Dau am 6. Juni 1928 mit
einer Focke-Wulf-Maschine auf der Strecke Hannover-Osnabrück gemacht. Die Flugstrecke Hannover—
Osnabrück kreuzt das Wiehen-Gebirge, das nach Norden außerordentlich steil abfällt und eine schmale
langgestreckte Form besitzt. An dem betreffenden Tage herrschten in Westdeutschland nordwestliche
Winde mittlerer Stärke. Ein Höhenwind von Bremen ergab folgende "Werte:
300 m joo m 1000 m 2000 m
NW 14 NW 22 NW 14 NW 30.
Dau, dessen Maschine unter gewöhnlichen Verhältnissen nur bis auf 800 bis 1000 m Höhe zu bringen war,
geriet beim Überqueren des Wiehen-Gebirges (Kammhöhe 300 m) in starken Aufwind, der die Maschine trotz
„Drückens“ in die sonst für sie phantastische Höhe von 1800 m hob, und beobachtete dabei starke Böigkeit
bis in 1200 m Höhe, wo sich einzelne Turbulenz-Cumuli befanden. Darüber war die Strömung turbulenz
frei. Außerdem stellte Dau fest, daß der Aufwind des Wiehen-Gebirges etwa 4 km nördlich des Kammes
bis in 900 m Höhe merkbar war. Die Verhältnisse waren, kurz zusammengefaßt, folgende: Mittlere Wind
stärke unterhalb 1000 m: Nordwest j msk., Höhe des Gebirgskammes: 300 m, Hebung der Maschine bis
auf 1800 m, starke Böigkeit bis in 1200 m Höhe. Das heißt also, daß ein 300 m hoher Gebirgskamm bei
einer nahezu senkrecht auftreffenden Luftströmung von etwa 5 msk. bis in seine sechsfache Höhe ein derar
tig kräftiges Aufsteigen der Luft bewirkt, daß selbst Flugzeuge mitgerissen werden. Wahrscheinlich kommt
gerade in diesem Falle der Turbulenzzone, die den Gebirgsrücken wulstartig umschließt und mit diesem zu
sammen ein wesentlich größeres Hindernis darstellt, eine bedeutende Rolle zu.
Am 28. August 1929 zeigte sich ein fast ebenso kräftiger Aufwind an demselben Gebirgsabschnitt, aller
dings bei südwestlichen Winden, 7 bis 8 msk: Flugzeugführer Helm überflog mit der frachtbeladenen
D 1017, Typ F 24, von Osnabrück kommend, in Richtung Hannover das Wiehen-Gebirge. Dabei wurde
die Maschine beim Überqueren des Kammes plötzlich von 800 m auf 1200 m gehoben; auch durch „Drücken“
der Maschine war dem aufsteigenden Luftstrom nicht entgegen zu wirken.