Dr. Gretel Satow: Das Bodeneis in der Arktis. Tatsachen und Hypothesen.
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Mächtigkeit, wie ich sie an der Lena und Jana nicht beobachtet hatte. An einer Stelle maß die senk
recht abstürzende Eiswand 72 Fuß (= 21.60 m). Das Eis ist trübe und enthält viel Luftblasen und
erdige Beimengungen. Außer diesen mächtigen Eismassen finden sich allenthalben zwischen den ho
rizontalen Erdschichten gleichfalls horizontale dünne Schichten klaren Eises. Im Laufe des Sommers,
besonders unter Einwirkung der Sonne, tauen die Profile zum Teil ab, sie treten weit ins Land zu
rück. Mit lautem Plätschern fallen bald größere, bald kleinere Erdmassen ab, um unten als dicker
Brei, gleich einem Lavastrom über den gefrorenen Boden, niederen Stellen und endlich dem Meere
zuzuströmen, während das durch das Schmelzen cles Eises gebildete Wasser zu kleinen Bächen ver
einigt, in tief einschneidenden Betten brausend dahinströmt. Diese bisweilen äußerst imposanten
Abstürze finden sich auf der Insel vom südlichsten Teil der Nordwestküste (beim Cap Tolstoi),
ferner längs der ganzen Südküste, insbesondere westlich von der Mündung des Wanjkina-Flusses
und endlich an der Norclostküste in geringer Entfernung vom Berge Kowrischka, Aus ihnen kom
men die fossilen Knochen zum Vorschein.“ (Toll 79. III. S. 49 und 9t. S. 252.)
Während Bunge an diesen Profilen keine ausgesprochene Zweiteilung wahrnahm, berichtet Toll,
daß er auf einer Strecke von 10 km entlang der Südküste der großen Ljachowinsel, an der Steilküste
aus quartären Ablagerungen „einen unterbrochenen aus Steineismassen bestehenden unteren und
einen aus Lehm-, Sancl- und Torflagern zusammengesetzten oberen Horizont unterscheiden konnte.“
(79. S. 51). Dieser Beobachtung kann Bunge nicht beipflichten. Er meint, daß Toll, da sein Besuch
ins Frühjahr und nicht wie Bunges in den Spätsommer fiel, durch den hohen Schnee getäuscht
worden ist.
Die an zerstreuten Stellen geäußerten Beobachtungen von Toll über das Aussehen und die Zusam
mensetzung der beiden Horizonte fasse ich kurz zusammen.
Der obere Horizont: die geschichteten Quartärsedimente bestehen zu unterst aus körnigen Sau
den mit spärlichen Pflanzenresten, darüber folgen zunächst Lehme mit torfartigen Einlagerungen und
Resten von Salix, dann mehr tonige Schichten mit zahlreichen Ueberbleibseln von Ainus fruticosa.
von Betula nana. Salixarten, ferner massenhafte Reste von ausgestorbenen Pflanzenfressern, beson
ders Mammut, Nashorn, Pferd. Steppenantilope (Saiga); die darauf folgenden obersten Schichten
enthalten endlich nur Reste von Polarweide und anderen Arten der heutigen Tuudrenflora. Die Dicke
dieser Schichten wechselt zwischen 1—6 m. Auch greifen diese Deckschichten oft in sackartigen Ein-
senkungen — in denen sich besonders die Mammute finden — in den darunter folgenden Eis hör i-
zont, der 15—25 m hohe Wände bildet. Die Färbung der Eiswände ist bei auffallendem Licht grau
grün, in einzelnen Handstücken ist das Eis aber meist vollkommen durchscheinend und farblos,
manchmal aber auch trübe. (79. III. S. 56 ff.) Doch enthält es viele dicht gestellte Luftbläschen,
deren gemessener Durchmesser 0.1—2 mm betrug. Manchmal sind auch erdige Beimengungen wahr
nehmbar gewesen. Toll hat körnige Struktur des Eises, doch keine Schichtung wahrgenommen.
Vielfach durchsetzen senkrechte mit Lehm und Sand erfüllte Spalten das Eis in seiner ganzen
Höhe.
Der Untergrund des Eises wurde auf den Neusibirischen Inseln von Toll und Bunge nicht er
mittelt, da einerseits das Eis unter dem Wasser noch weitergeht und andererseits die Profile im
Sommer abtauen, weit ins Land zurücktreten und die abgestürzten Erdmassen als dicker Brei vom
Fuß der Eismassen ins Meer fließen.
Nach Obrutschew (49. S. 589 ff.) sollen jetzt auf den nördlichen Neusibirisehen Inseln ± sandi
ger Geschiebelehm (auf Kotelny 1—2.5 m Mächtigkeit) mit teilweise polierten Blöcken von 0.7—1 m
Durchmesser als Untergrund des Bodeneises gefunden worden sein.
B. Theorien.
Da die beiden ersten Forscher, die längere Zeit auf den Neusibirisehen Inseln weilten (1886 bis
1887). über das Aussehen der Eisprofile zu verschiedenen Ansichten kamen, ist es nicht verwunder
lich, daß auch ihre Erklärungsversuche voneinander abweiehen.
a) Bunge ging von den heute in der Tundra wirksamen Kräften aus, von den Frostspalten und
den in ihnen verkommenden Adern, Blöcken, Gängen von Bodeneis, deren Bildungsart schon ge