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Aus dam Archiv der Deutschen Seewarte. — 49. Bd. Nr. 3.
Für den Spätsommer, in den die Reise des „Meteor“ fiel, lassen sich die aerologi sehen Messungen
heranziehen, die H e r g e s e 11 im Gebiet von Spitzbergen in den Jahren 1906—10 ausgeführt hat. 7 ) Be
sonders interessant sind die Werte für 1906. Hier liegen einerseits 5 Aufstiege über 3 km bei Spitz
bergen, andererseits 2 Aufstiege in der Gegend des norwegischen Nordkap, also im Westwindgebiet, vor.
Der mittlere Temperatur-Gradient der Spitzbergen-Aufstiege ist 0.46°/lO0 m (unter Einrechnung des
Aufstieges vom 3. August 1906 sogar nur 0.34°/100m), während der mittlere Gradient der beiden Aufstiege
bei Norwegen 0.57°/100 m beträgt, also dem allgemein angenommenen Mittelwert von 0.6°/100 m nahe
kommt. Der Aufstieg vom 4. September 1906 stellt einen besonders instruktiven Zwischentyp dar, da er
in der Gegend von Hammerfest bei NW-Wind den mittleren Gradienten von 0.44°/100 m ergab, also
wahrscheinlich Luftmassen erfaßt hat, die aus der Gegend von Spitzbergen stammen.
Die Ausgangswerte der Temperatur am Erdboden sind: Bei den Spitzbergen-Aufstiegen 4.7°, auf See
an der norwegischen Küste 6.7° im Mittel. Bei der vorliegenden Differenz der Gradienten von 0.1°/100 m
ist Temperaturgleichheit schon in 2000 m erreicht, und Druckausgleich zwischen beiden, als be
nachbart vorausgesetzten Luftsäulen schätzungsweise bei 4700 m. Bis hierhin weht die Luft von der Spitz
bergen- zur Norwegenluft, darüber kehrt sich das Druckgefälle und die Windrichtung um. Besteht aber
am Boden kein Druckunterschied in beiden Luftsäulen, was ja durchaus möglich ist, da sie nicht im
genetischen Zusammenhang von Hoch und Tief stehen, dann erfolgt die Umkehrung des Druckgefälles in
noch geringerer Höhe, das Ausströmen der „Kaltluft“ ist dann auf eine sehr dünne Bodenschicht
beschränkt.
Es gibt weitere Anzeichen, daß wenigstens im vorliegenden Fall die Anwesenheit polarer Kaltluft aus
geschlossen ist. Seit dem 10. August zeigen alle hohen Pilotaufstiege von Island bis Ostgrönland in der
Höhe starke Nordströmung (Aufstiege 23, 25—27, 29). Die Nordströmung setzt in Westgrönland — trotz
der bei Julianehaab noch geringen Breite des Kontinents von etwa 180 km in westöstlicher Richtung —
gänzlich aus. Dieses Ergebnis entspricht völlig den Befunden von A. de Quervain 8 ) in den Jahren
1909 und 1912/13. Doch die ersten Aufstiege an der Ostküste auf der Rückreise (Nr. 45—48, 50, 51, 54)
zeigen sie wieder, ebenso die Messungen während der Querung der Dänemarkstraße, diese freilich nur in
geringeren Höhen. Der erste hohe Aufstieg in Reykjavik (Nr. 67 am 28. August) zeigt die Strömung in der
Höhe über 6 km noch immer ebenso kräftig, als Nr. 23 am 10. August! 9 )
Versuchen wir diese Tatsache mit den soeben dargestellten Verhältnissen zwischen Spitzbergen- und
Norwegenluft in Verbindung zu bringen, so ergibt sich, daß eine von bodennahen Schichten bis in große
Höhen einheitlich herrschende Nordströmung nicht bestehen kann, wenn polare Kaltluft mit subtropischer
Warmluft „konfrontiert“ wird. Die ausfließende Strömung kann nur sehr geringe Höhe erreichen. Sie
ist in Abb. 16 a nicht eingezeichnet. Schon bald erzwingt die langsamere Dichte-Abnahme in der Warm
luft einen Druckgradienten von warm zu kalt, der sich in größerer Höhe erneut umkehrt. Im vorliegenden
Fall würde im günstigsten Fall eine dünne Schicht mit — infolge der Reibung — mäßig bewegter Kalt
luft aus NW von Südwind überlagert werden, und erst in größerer Höhe (vgl. Abb. 16 a) würde wieder
N auftreten. Die ausfließende Kaltluft kann gänzlich fortfallen, da infolge der mit zunehmender Wind
geschwindigkeit entlang der Isobare wehenden Luftströmung der Massentransport von der warmen zur
kälteren Luftsäule gering bleibt.
7 ) Beitr. z. Phys. d. fr. Atm., Bd II. 1906 -08, ebenda, Bd. VI, 1914.
8 ) de Quervain: Gleichzeitige Pilotaufstiege in Westgrönland und Island. Beitr. z. Phys. d. fr. Atm.,
V, 1913, S. 132;
Derselbe: Ergehn, d. Schweiz. Grönland-Expedition 1912)13. Schriften d. Schweiz. Naturf. Ges., S. 384 ff.
8 ) In bezug auf die gleichen Luftmassen, die für Westgrönland in Reaktion treten, sagt de Quervain (1.c.
S.376): „Um in höheren Schichten noch eine Luftdruckverteilung aufrecht zu erhalten, die unseren Beobachtungen
gerecht wird, müßte man die tiefen Bodentemperaturen der nordostgrönländlsehen Antizyklone als völlig lokal
und seicht ansehen und die Herkunft des Überdruckes in hohen Schichten hinauf verlegen. .. Der Körper dieser
Antizyklone dürfte dann bis in große Höhen nicht kalter sein als die Luft über dem Tiefdruck über der Davisstraße
und Bafflnsbai.“