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Aras dem Archiv der Deutschen Seewiarte. —• 48. Bd. Nr. 1.
in den Kälteregionen gelegentlich sehr intensiv empfunden wird, berichtet auch Nansen („Nacht und
Eis“, II. p. 446—47).
Wenn Hann dagegen anführt (Handb. d. Klimatol. 1911, I. 47), daß bei —10° bis — 20° trotz der
geringen absoluten Feuchtigkeit oder besser gesagt trotz des hohen Austrocknungswertes das Durst
gefühl nicht größer war als bei 30° im Sommer, so wird hierdurch nur bewiesen, daß nicht allein dieser
Faktor den Durst erregt. Selbst in Collahuasi besteht im Zustande der Ruhe kein besonderes Gefühl
des Durstes trotz der maximalen anthropoklimatischen Trockenheit, die dort herrscht. Deshalb fordert
die Prophylaxe gegen die Puna, daß man auch ohne Durst ständig kleine Mengen Flüssigkeit zu sich
nimmt (pro Tag 2 Teller Suppe, 2 große Tassen Tee und 4 Glas Wasser), um methodisch den Wasser
verlust auszugleichen. (Siehe Z u n t z, 1. c. 3, p. 468; nach P o e p p i g : „die Indianer der Anden bedienen
sich kalter Limonade, um sich gegen die Bergkrankheit zu schützen.“) Umgekehrt ist in den feuchten
Tropenregionen das Durstgefühl ein starkes.
Der geoklimatische Austrocknungswert wird in den kältesten Teilen Sibi
riens mitunter sehr niedrig und nähert sich merklich dem Nullwert, während die Erfahrung zeigt, daß
im geoklimatischen Sinne die Wasserabgabe groß sein muß. Nach Ferd. Müller (Hann, Handb. d. Klimatol.
1911, II, p. 296) ist die Trockenheit des Klimas dort so groß, daß Gegenstände aus Holz und selbst die
Resonanzböden der Pianos, die in feuchteren Ländern hergestellt wurden, nach kurzer Benützung un
brauchbar werden. In diesem Falle muß wohl der Austrocknungswert der geschlossenen Behausung
zur Erklärung herangezogen werden, der von dem geoklimatischen Luftwerte sehr verschieden ist, da
infolge der Heizung Gegenstände die Temperatur des Wohnraumes annehmen; wenn auch, wie oben be
merkt, in Sibirien der Wasserdampfgehalt im Zimmer höher ist und sich hierdurch die Wasseraus
scheidung des Organismus reduziert, so wird die Dampfspannung in einer sibirischen Wohnung immer
hin viel kleiner sein als an dem Fabrikationsort. Außerdem werden die großen Temperaturunterschiede
zwischen geheizten und nicht geheizten Räumen hier mitsprechen und überdies die starken Schwan
kungen der Austrocknungswerte.
Kirolow hat in Transbaikalien Gelegenheit gehabt, bis auf den Grund gefrorene Steppenflüsse mit
einer Eisschicht von 20 cm Dicke zu beobachten, die bis zum Monat März vollkommen verschwand. Es
ist leicht zu verstehen, daß es sich um Breiten handelt, unter denen die Sonnenstrahlung auch im Winter
nicht zu vernachlässigen ist (vergl. „Ermans Klimabeschreibung für Irkutsk“, Hann, L, c. p. 294). Das
Verschwinden des Eises kann man in diesem Falle nur zu einem Teil der Wirkung der Verdunstung
zuschreiben, zum anderen dem Schmelzprozeß. Nehmen wir an, daß nur während 4 Stunden täglich unter
dem Einfluß der Sonnenstrahlung eine dünne Schmelzwasserschicht von 0° vorhanden wäre bei einer
Dampfspannung von 0,5 mm und einer Windstärke von 2 Bft., so würde unter diesen sehr wenig extre
men Bedingungen eine Eisschicht von 20 cm in der angegebenen Zeit verschwinden.
Eine gewisse Schwierigkeit bietet die Beobachtung v. Middendorfs (Hann, Handb. d. Klimatol. 1911,
I., p. 53), daß in Ost-Sibirien ein Fell, das tagsüber durch den menschlichen Schweiß durchfeuchtet
wurde, vollkommen austrocknet, wenn man es während der Nacht mit den Haaren nach außen auf den
Schnee gelegt der Luft aussetzt. Ein solches Phänomen ist unter den vorhandenen klimatischen Be
dingungen wohl möglich, da ja das Fell eine außerordentlich günstige Oberfläche für die Verdunstung
bietet, und andererseits die Eisschicht, welche jedes einzelne Haar einhüllt, außerordentlich dünn ist.
Nur wird Bedingung sein, daß der zu trocknende Gegenstand keine hydrophilen Eigenschaften
besitzt, eine Wahrnehmung, die Beachtung verdient und oft bei Betrachtungen über die Evaporations
kraft vernachlässigt wird, obwohl U 1 e sagt, daß wir in dem größeren oder kleineren Gewicht eines der
Luft ausgesetzten Gegenstandes ein Maß für die Verdampfungskraft des Klimas haben und darunter die
größere oder geringere Fähigkeit der Luft, einem Körper Wasserdampf zu entziehen, versteht. Doch
hängt die Wasserabgabe eines Körpers nicht allein von dem Austrocknungswert, sondern auch von seinem
hygroskopischen Charakter ab, welcher wiederum eine Funktion des Austrocknungswertes ist.