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Prof. Dr. B. Schulz: Die Gezeiten au der flandrischen Küste und aut' der unteren Schelde.
Bei Beginn der Messungen (2 Stunden vor H. W.) herrschte bereits Flutstrom, die Geschwindigkeit
betrug nur 0.3 Sm., und es ist anzunehmen, daß soeben die Kenterung von Ebb- zum Flutstrom
beendet war. Der Flutstrom setzte nach N 55° bis 65° O, die größte erreichte Geschwindigkeit betrug
1.5 Sm. Als Zeitbeginn des Kenterns zum Ebbstrom ist 2.00 N anzusehen, von 3.30 N an herrschte ein
wandfrei Ebbstrom, so daß das Kentern etwa l l / 2 Stunden dauerte. Die Versetzung des Treibkörpers
durch den Flutstrom betrug 5V*Sm, die Dauer des Flutstromes 5 Stunden, seine mittlere Geschwindig
keit also 1,14 Sm. Die Länge der Bahn des Treibkörpers während des 1 1 / 2 Stunden dauernden und links
herum erfolgenden Kenterns betrug nur 0.6 Sm, die mittlere Geschwindigkeit also 0.4 Sm. Der Ebb
strom, dessen größte Geschwindigkeit 2.1 Sm war, führte den Treibkörper in einer der Flutbewegung
entgegengesetzt ihr fast genau parallelen Bahn in 5*4 Stunden insgesamt 8*4 Sm nach SW *4 W. Von
dem Beginn der ersten Flutstromperiode bis zum Beginn der zweiten war also eine Versetzung parallel
der Küste kanalwärts um insgesamt 2.8 Sm, also um 0.2 Sm in der Stunde, eingetreten. Das Kentern
vom Ebb- zum Flutstrom erfolgte rechts herum.
Am nächsten Morgen (28. Mai) wurde der Treibkörper in fast der doppelten Entfernung von der
Küste querab Middelkerke wieder gesichtet. Während der inzwischen erfolgten Flut- und Ebbebewegung
war er beträchtlich seewärts bis auf die Ostender Bank getrieben worden. In der Folgezeit aber bis zum
Abend hin erfolgte eine wesentliche Versetzung nach der Küste zu. Zunächst herrschte Ebbstrom. Der
darauf (2 h vor H.W.) einsetzende Flutstrom erreichte eine größte Geschwindigkeit von 1.3 Sm, und
brachte in 5 Stunden eine Versetzung um 4 3 /s Sm. Während des nun folgenden Ebbstromes kam der
Schwimmkörper außer Sicht. Obgleich in diesem Augenblick der Ebbstrom erst 2]/> Stunden gedauert,
sich also erst etwa halb ausgewirkt hatte, war der Schwimmkörper doch bereits fast um die ganze
Strecke, die ihn der Flutstrom nach NO gebracht hatte, zurück verfrachtet worden, so daß auch hier
wie am Tage vorher die durch den Ebbstrom zurückgelegte Strecke wesentlich größer war als die Ver
setzung durch den Flutstrom. Am Vortage war das Verhältnis dieser beiden Werte etwa 1.5 :1, am
28. Mai wird der Unterschied kaum geringer gewesen sein.
Außer der regelmäßigen Versetzung des Treibkörpers infolge der Gezeiten war demnach erstens
eine Verfrachtung kanalwärts, zweitens eine große Veränderung der Entfernung von der Küste zu be=
obachten. Der Betrag der ersten Bewegung läßt sich recht gut feststellen. Vergleichen wir den Ort
des ersten Kenterns vom Ebb- zum Flutstrom mit dem, an welchem 25 Stunden also eine Doppeltide
später das entsprechende Kentern stattfand, so ergibt sich eine Versetzung kanalwärts um 4% Sm.
Vergleichen wir aber das erste Kentern vom Flut- zum Ebbstrome mit dem 25 Stunden später erfol
genden, so haben wir eine Versetzung in gleicher Richtung um 57< Sm. Die mittlere Ver
setzung kanalwärts war 4 S A Sm in 25 S t u n d e n o d er 0.19 Sm in der Stund e. Daß der
Reststrom kanalwärts gerichtet war, steht im Einklang mit den meteorologischen Verhältnissen. Nach den
Wetterkarten der Deutschen Seewarte herrschten am 25. und 26. Mai an der flandrischen Küste W- und
WSW-Winde von 2—3 Bit. Der mittlere Wasserstand war an diesen Tagen 2.07 und 2.06 m. Am 27.
und 28. Mai lag über England, Frankreich und auch über Skandinavien hoher Luftdruck, über Oester
reich und Mitteldeutschland war niedriger Druck, der sich in einer flachen Mulde bis über die mittlere
Nordsee ausdehnte und die beiden genannten Hochdruckgebiete trennte. Über der südwestlichen Nord*
see und über den Hoofden bildeten sich infolgedessen nördliche Winde aus. In Ostende wurde beob
achtet: am 27. Mai 61x V: NW 2. llhV:Nl, 4hN:NNW2, 9hN:NN02; am 28. Mai 2hV:NNWl,
6hV:NWl, llhV:Wl, 4h N: NW 2, 9hN:NNOl. Der mittlere Wasserstand stieg auf 2.15 m am
27. Mai und blieb am folgenden Tage in gleicher Höhe. Es hatte sich dann offenbar ein Gleichgewicht
herausgestellt zwischen den Mengen des in den Bereich der flandrischen Küste hineingetriebenen und
des kanalwärts fortgeführten Wassers.
Für die wechselnde Entfernung von der Küste ist dagegen anscheinend der Einfluß der Bänke
maßgebend gewesen. Während der ersten Tide erfolgte die Trift des Schwimmkörpers innerhalb der
großen Ostender Reede und führte im östlichen Teile bis dicht an die Bank von Wenduyne heran. Die.
Bahn war annähernd parallel der Küste, bei der Kenterung von Ebbe zur Flut war der Körper nur 1 Sm