20 Aerologfischc u. hydrographische Beobachtung, d. deutsch. Marinestat. während der Kriegszeit 1914—1918. — Heft 4.
obachtung zahlreicher Drachenaufstiege findet man viele Abweichungen und lernt zwischen den ver
schiedenen Turbulenzformen unterscheiden. Die turbulente Struktur des Windes, und die Bewegungs
form, die man gewöhnlich „Böigkeit“ nennt, sind nicht unter allen Umständen identisch. Letztere be
steht aus Wirbeln und Böen höherer Größenordnung, aus pulsierenden Änderungen des Windes nach
Richtung und Geschwindigkeit, verbunden mit Vertikalbewegungen.
Diese Turbulenzform tritt mit Vorliebe bei bestimmten aerologischen Zuständen auf, und zwar:
I. In der Bodenschicht bis ca. 300 mllöhe.
Hier ist die Turbulenz im allgemeinen am größten. Die Ursache ist die Reibung der strömenden
Luftmassen an der festen Erdoberfläche und ihren Unebenheiten. Je größer letztere sind, um so größer
werden auch die entstehenden Wirbel und Böen sein; über einer Ebene ist die Böigkeit bei gleicher
Windgeschwindigkeit kleiner als über hügeligem, bergigem Gelände. Eine ähnliche Rolle spielt die
abwechselnde Verteilung von Wäldern und Feldern etc.
An der Küste liegen besonders eigenartige Verhältnisse vor. Der 3-jährige Aufenthalt an der
flandrischen Küste hat mir besondere Anschauungen über die Böigkeit der von der offenen See
wehenden Winde aufgedrängt. Es ist mir immer überraschend gewesen, wie außerordentlich böig die
von See auf die Küste treffenden Westwinde waren, was sowohl das Verhalten der Drachen lehrte als
auch direkte Messungen der Windgeschwindigkeit draußen auf dem flachen Strand bei Ebbe, weit weg
von den Dünen, mit einem Morell’schen Anemotachometer. Die westlichen Winde, die meist der Rück
seite der Depression entstammen, sind natürlich an sich als böig bekannt, aber man sollte doch er
warten, daß die geringe Reibung des Windes über der See die Böigkeit verminderte. Im allgemeinen
nimmt man an, daß die östlichen Winde böiger sind als die westlichen bei gleicher Geschwindigkeit.
Für die flandrische Küste trifft dies aber sicher nicht zu. Dafür ist neuerdings auch ein direkter Be
weis von A. Peppier 1 ) erbracht worden, der fand, daß die westlichen, vom Meere wehenden Winde bei
gleicher Geschwindigkeit wesentlich böiger sind als die östlichen vom Lande wehenden Winde. Das
Ergebnis ist abgeleitet aus den Registrierungen eines Steffens-Heddeschen Böenschreibers, der auf der
Mole von Zeebriigge in durchaus einwandfreier Weise aufgestellt war.
Die größere Böigkeit der von See wehenden Winde kann verschiedene Ursachen haben, ganz ab
gesehen von der erwähnten größeren Turbulenz der westlichen Winde an sich. Einmal ist daran zu
denken, daß gerade infolge der geringen Reibung über dem Meere einmal vorhandene Wirbel sich
länger erhalten können, als über dem Festlande.
Aber ich glaube, daß unsere Vorstellung von der geringeren Reibung über dem Meere auch einer
Revision bedarf. Bei glatter, sehr schwach bewegter See — was an der flandrischen Küste übrigens
sehr selten ist — wird die Reibung allerdings sehr gering sein. Aber der Reibungskoeffizient ändert
sich mit dem Zustand der Meeresoberfläche. Bei hohem Seegang müssen gerade die Unebenheiten des
Wasserspiegels, gebildet aus mächtigen Wellen von 10 m Höhe und mehr, für die darüberstreichenden
Luftmassen eine Quelle der Turbulenz sein. Es werden sich Böen und Wirbel in der Luft bilden von
ähnlicher Größenordnung als die Meereswellen, mit anderen Worten, die Böigkeit wird dem Grade nach
vom Seegang abhängig sein. Für die Dynamik der untersten Luftschichten ist dabei von weiterer Be
deutung, daß sich die Reibungsgröße mit dem Seegang dauernd ändert, also keine konstante ist. Direkte
Beweise für diese Ansicht lassen sich allerdings schwer erbringen; vielleicht deutet die von A. Peppier
gefundene größere Böigkeit der westlichen Winde auf diesen Einfluß hin. Leider sind die Beobachtungen
über den Seegang nicht genau genug, andernfalls könnte man unschwer an den Registrierungen des
Böenschreibers auf der Mole von Zeebrügge Beziehungen zwischen Turbulenz und Seegang nachweisen,
um so mehr, da eine direkte Abhängigkeit von Windgeschwindigkeit und Seegang nicht besteht.
(Dünung!) In den Fällen, wo sehr schwache Luftbewegung mit hohem Seegang zusammenfällt, müßte
die Verstärkung der Turbulenz der Westwinde am auffallendsten sein.
Eine weitere Ursache für die Entstehung der böigen Bodenschicht liegt in der Flächenreibung
der mit wechselnder Geschwindigkeit und Richtung übereinander wehenden Luftschichten. Diese innere
4) A. Peppier: Untersuchungen ¡¡her die Geschwindigkeit und Böigkeit des Windes. Wetter. 1918, Heft 11 12. S. 174.