Br. B. Thor ade: Gezeitenuntersuehungen in der Deutschen Bucht der Nordsee.
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Reihe ähnlicher Beobachtungen vorliegen. Wenn man nach Erklärungen hierfür sucht und Überschau
hält über die Kräfte, denen die G-ezeiten unterliegen, so ist zuerst der unmittelbaren
Fluterzeugenden Kräfte der Gestirne zu gedenken. Von diesen steht jedoch fest, daß sie
an einem festen Orte jedes Wasserteilchen, gleichviel in welcher Tiefe, gleich stark erfassen, so daß
von ihnen keine Unterschiede der Strömungen in den verschiedenen Tiefen herrühren können. Außer
dem haben neuere Arbeiten 1 ) mit Erfolg die Gezeiten der Nordsee in ihren Hauptzügen erklären können,
ohne auf die unmittelbare Wirkung der Gestirne Rücksicht zu nehmen. Sie soll daher auch im folgen
den beiseite bleiben, und die Gezeiten der Nordsee sollen als reine
Mitschwingungsgezeiten aufgefaßt werden, d. i. als die Wirkung einer vom Atlanti
schen Ozean kommenden freien Gezeitenwelle. Bei einer solchen werden die Beschleunigungen nur
durch das Gefälle des Wasserspiegels hervorgebracht. Um dieses auszudrücken, lege man den Anfangs
punkt des Koordinatensystems auf den Meeresboden an dem betrachteten Orte, ziehe die z-Achse senk
recht nach oben, die x-Achse nach Osten, die y-Achse nach Norden, so sind, wenn f den Wasserstand
über dem mittleren Spiegel in cm bezeichnet, die Komponenten der Gefällskraft je Volumeneinheit
d £ , d'c
— g P — und —gg —
dx dy
wo g die Beschleunigung der Schwere-, — 981 cm/sec 2 * und o die Dichte des homogen gedachten Wassers
ist. Auch diese Kraft wirkt in jeder Tiefe mit der gleichen Stärke; sie kann daher keine Unterschiede
hervorbringen. Drittens wirkt die
Ablenkende Kraft der Erdumdrehung mit den Komponenten
+ 2 q cd v und — 2 q o) u
auf der nördlichen Halbkugel, wenn a> die Drehgeschwindigkeit des Horizonts für die geographische
Breite cp des Beobachtungsorts ist; bezeichnet a> e = 1 • 29.10—s die Winkelgeschwindigkeit der Erde,
so ist ca = a> 0 sin cp. Für <p=z 54° ist 2 <x> — 1 ■ 1767.10“ 4 . Konnte das Spiegelgefälle nur in allen Tiefen
dieselbe Geschwindigkeit u, v erzeugen, so ist klar, daß auch die Ablenkungskraft auf alle Teilchen
einer senkrechten Wassersäule in gleichem Maße wirkt. Als alleinige Ursache für die Unterschiede kann
somit nur in Frage kommen die
Reibung. Um zunächst an einem möglichst einfachen Beispiele die in Betracht kommenden Fälle
zu untersuchen, sei die Reibung als Kraft proportional den Geschwindigkeitsunterschieden angenommen:
«9 a u , <9 s v
u — und u —
öz 2 dz*
Man hat hier für u nicht den molekularen Reibungskoeffizienten, sondern den 1000- und mehrfach so
großen durch die Turbulenz bedingten Wert der Scheinreibung einzusetzen, von dem aber vorläufig
der Einfachheit halber angenommen sei, daß er konstant ist. Ferner enthält der obige Ansatz bereits die
Annahme, daß die seitliche Reibung gegenüber derjenigen von Ober- und Unterschicht verschwindet,
und die um deswegen berechtigt ist, weil die Geschwindigkeitsunterschiede in wagerechter Richtung,
d u/() x, du/dy, dv/dx, dv/dy klein sind gegenüber denen in senkrechter Richtung, ,9u /«9 z, dv/d z.
l ) Merz, A.: Nordseehandbuch, südlicher Teil. Berlin, 1923. Marineleitung.
Defant, A.: Die Gezeiten der Nordsee, Beobachtung und Theorie. 'Ann. d. Hydr. 1923, S. 185.
Proudman, J„ und Doodson, A, F.: The' Principal constitnent dl; tho tides of the North Sea. Phil.
Trans. Roy. Soc. London, CCXXIV, 1924, S. 195.
Vgl. a. Ann. d. Hydr. 1924, S. 58,