Dr. Paul Perlewitz: Höhenwindmessungen und andere Beobachtungen zwischen dem Kanal und dem La Plata. ß
I. Teil: Höhenwindmessungen.
1. Aerologische Forschungsfahrten und Luftverkehr.
In den Jahren 1909 bis 1911 ließ die Deutsche Seewarte durch den Seefahrtsschullehrer Dr. H. Meyer
Höhenwindmessungen im Nord- und Südatlantik sowie im Stillen Ozean auf Schulschiffsreisen anstellen.
Aus Mangel an Personal und Mitteln konnte die Deutsche Seewarte diese Beobachtungen damals nicht
durch eigenes Personal vornehmen. Nur die Bearbeitung geschah auf der Seewarte durch den Verfasser,
nachdem bereits 1910 W. Koppen entsprechende Beobachtungen von Schiffskapitänen aus den Jahren
1906 bis 1908 vom Atlantik bearbeitet hatte 1 ) 2 ). Erst im Jahre 1924 ließ es sich ermöglichen, daß ich selbst
von Bord aus die Fortsetzung der Meyer’schen Beobachtungen und meine zweite Bearbeitung ozeanischer
Höhenwinde auf Grund nunmehr eigener Messungen vornehmen konnte.
Um die Jahre 1906—11 gab es noch keinen Luftverkehr. Der Zweck der Beobachtungen war damals
mehr wissenschaftlich, wenn auch bereits die Hoffnung und Erwartung bestand, daß die Beobachtungen
der Luftfahrt über See (Seefahrt zur Luft) einmal zugute kommen würden. Denn diese Ubersee-Luft
fahrt meteorologisch vorzubereiten, war schon damals Aufgabe der Deutschen Seewarte.
Wir wissen, daß das Schiff auf dem Ozean umfangreicher meteorologischer Unterstützungen bedarf,
um im wirtschaftlichen Kampf wettbewerbsfähig zu bleiben. Diese Hilfe der deutschen Seefahrt geben
zu können, war der Hauptzweck der Gründung der Deutschen Seewarte durch Keichserlaß. Heute steht
es ähnlich für die Luftfahrt zur See. Ja diese bedarf noch weit mehr der Unterstützung durch die
Wetterkunde und Aerologie sowohl für die Weiterentwickelung der Luftfahrzeuge zum vollendeten Ver
kehrsmittel als auch vor allem für den wirtschaftlichen Luftverkehrswettbewerb der Nationen. Um dies
zu verstehen, brauchen wir uns nur das Verhältnis beider Seeverkehrsmittel zur Meteorologie vor Augen
zu führen.
Unter den Verkehrsmitteln auf der Erde nimmt das Luftfahrzeug in dreifacher Hinsicht eine Son
derstellung ein, die ihm einen großen Vorsprung vor allen andern gibt. Es hat den Vorzug, erstens das
schnellste Verkehrsmittel zu sein und zweitens unabhängig zu sein von der geographischen Beschaffen
heit der Erdoberfläche und damit von den Schwierigkeiten und Vorbereitungen, die man zu überwinden
hat, um sich auf ihr über Land, Wasser, Eis, Gebirge, Wüsten usw. fortbewegen zu können; es ist un
abhängig von Weg und Steg, Schienen und Straßen. Nur von zweierlei ist es abhängig, von der Luft, die
aber nirgends fehlt, und von Halteplätzen, die überall, auf Land und Wasser, verhältnismäßig leicht an
zulegen sind. Hiermit ist das Flugzeug aber auch — und das ist der dritte Vorzug — das einzige Univer
salverkehrsmittel. Allein dem Luftfahrzeug ist es möglich, überall hin zu gelangen.
Gegenüber diesen Vorzügen der ungehinderten Raumüberwindung und vergrößerten Geschwindig
keit besteht nur der eine Nachteil, daß es in seinem wirtschaftlichen Betrieb stärker von Wetter und
Wind beeinflußt ist als andere Verkehrsmittel. Daher ist es aber gerade erste Pflicht der Meteorologie zu
helfen. Die Abhängigkeit des Fliegens vom Wetter tritt um so mehr in die Erscheinung, je länger die
Flugstrecken sind. Bei langen Strecken hat die Luftnavigation nach meteorologischen Gesichtspunkten
vor sich zu gehen: Günstige Wege, Höhen und Zeiten sind zu wählen. Um hierzu imstande zu sein, muß
man die meteorologischen Elemente, besonders die Windverhältnisse überall auf der Erde bis zu größeren
J ) W. Koppen. Aufstiege von Pilotballons auf deutschen Handelsschiffen in den Jahren 1906—08. Annalen der
Hydr. 1910 S. 201—217.
2 ) P. Perlewitz. Windbeobachtungen in den höheren Luftschichten des Atlantischen und südlichen Stillen
Ozeans. Ann. d. Hydr. 1912 S. 454—477.