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Aus ticm Archiv der Deutschen Seewerte.— 44. Banci. Heft 2.
in der Minute auf das qkm), ohne daß die angenäherte Homogenität der Temperaturverteilung ge
stört wird. Friert nun ein Fluß zu, so kann dies auf zweierlei Weise geschehen. 1. Kerneishildung:
Der Fluß friert (besonders bei flachem Wasser und geringem Gefälle) vom Ufer aus glatt zu. In die
sem Falle bildet sich infolge der größeren Abkühlung und der größeren Menge fester Kristallisa
tionskerne zuerst Ufereis oder Randeis. Sodann bildet sich „Siggeis“ an den im Flusse befindlichen
festen Kristallisationskernen und Grundeis am Grunde des Flusses. Durch Vermehrung des Siggeises
einerseits, Anwachsen des Ufereises andererseits kann es dazu kommen, daß der Fluß unter Empor
hebung des Grundeises und Aufhören der Grundeisbildung überhaupt sich mit einer geschlossenen
Eisdecke bedeckt. (Kerneis).
2. Packeisbildung: Weit häufiger kommt Eisstand auf anderem Wege zustande: Durch das An
wachsen des Siggeises entstehen Eisschollen, die sich vermehren und von der Strömung an festen
Widerständen (z. ¡B. Brückenpfeilern) gestaut werden, so daß sicli Eisstand bildet. Ein derartiger
Eisstoß von Packeis erreicht oft ganz außerordentliche Stärke. Die in die Strommündungen der Elbe
und Weser eindringende Flut leistet den vordringenden Eisschollen ebenfalls Widerstand, so daß
sich oberhalb der Grenze der Flutwelle oft der erste Eisstand bildet. Die Eisverhältnisse der
Flüsse im Binnenlande haben also auch für die Zustände an den Flußmündungen Bedeutung. Werden
bedeutende Eismassen, diet sich am Oberlaufe gebildet haben und von dort infolge starker Winde
oder Tauwetter abgetrieben worden sind, an den Mündungen geistaut, so kann dieses Eis, besonders
bei erneut auftretendem Froste, auch für die Seeschiffahrt sehr hinderlich werden. Das überkühlte
Wasser, das die Stellen, an denen sich Eisschollen bilden, passiert hat, ist etwas wärmer als vorher.
Da es aber durch den Strom weiter fortgeführt wird (Fortführung der latenten Wärme), so kann die
Kristallisation ungestört weiter vor sich gehen, was im entgegengesetzten Falle nicht möglich wäre.
Außer der Lufttemperatur sind aber für die mehr oder weniger große Stärke der Eisbildung auch
noch andere Faktoren von Einfluß, die zum Teil für die säkularen Veränderungen in der Eisbe
deckung der Flüsse maßgebend sind. Zunächst ist der Einfluß der Abwässer in den Groß- und Fabrik
städten zu nennen, der auf das Wasser erwärmend wirkt, selbst wenn die Lufttemperatur eine sehr
niedrige ist. Außerdem wird durch den Gehalt an Salzen der Gefrierpunkt des Wassers herabge
drückt. Beide Umstände vereint müssen zur Folge haben, daß das Wasser nur sehr schwer gefriert.
Bei anhaltendem Frostwetter wird auf der Spree oberhalb Berlins Schlittschuh gelaufen, während in
der Stadt und unterhalb derselben es stets nur zu vorübergehenden schwachen Eisbildungen kommt,
die bereits bei nachlassendem Froste (ohne daß hierzu Tauwetter erforderlich ist) wieder verschwinden.
Ferner hat die Regulierung der Flüsse bedeutende Veränderungen der Eisverhältnisse hervorgebracht,
Flaches Wasser begünstigt die Eisbildung, besonders den Eisstand, tiefes Wasser erschwert sie. Wenn
bei tiefem Wasser das Flußbett sehr schmal ist, so wird hierdurch der Eisstand allerdings begünstigt.
Einen wesentlichen Einfluß hat sodann das Gefälle. Bei manchen Flüssen beobachtet man im Oberlauf
trotz niedrigerer Temperatur weniger Tage mit Eisstand, als im Unterlauf. Ein gutes Beispiel für
diesen Einfluß bieten die Beobachtungen an der Brahe bei Broniiberg. Oberhalb der Stadt ist der
Strom so stark, daß in der Stadt eine starke Staustufe gemacht werden konnte, unterhalb der Stadt
dagegen ist der Strom sehr schwach. Für den Oberpegel ergeben sich daher im zwölfjährigen Mittel
nur 36,4 Tage mit Eis bei 28,4 Tagen mit Eisstand, für den Unterpegel dagegen 67,3 Tage mit Eis und
65,3 Tage mit Eisstand. Auch die Eisverhältnisse des oberhalb der Beobachtungsstelle gelegenen
Teiles eines Flusses sind für die Beobachtungsstelle maßgebend, wie sich aus den Beobachtungen der
Warthemündung bei Rüstern ergibt. Auf der von Süden aus einem Gebiete mit starkem Gefälle kom
menden Oder ist die Eisbildung schwächer, als auf der von Osten zuströmenden Warthe- Im lSjähri-
gen Mittel zählt man in Küstrin auf der Oder 44,4 Tage mit Eis bei 27*4 Tagen mit Eisstand, auf der
Warthe 50,9 Tage mit Eis bei 31,2 Tagen mit Eisstand. Das Auf brechen der Eisdecke ist verschie
dener Art und hängt von ihr seihst und von der Lufttemperatur ab. Schwankt diese um 0°, so findet
nur ein geringes Ansteigen des Wassers statt. Das Eis wird mürbe und schiebt sich zusammen, die