Ueber Eisbildung und Eisabgang auf Flüssen und über die
Eisverhältnisse der deutschen Ströme und Flüsse,
besonders innerhalb Norddeutschlands.
Yon Professor Dr. Gustav Schwalbe.
1. Der Vorgang der Eisbildung auf Flüssen ist von dem auf Teichen und Seen wesentlich ver
schieden. Während bei stehenden Gewässern nach Abkühlung der Oberfläche des Wassers auf 4°
(Dichtemaximum) dieses schwere Waser auf den Grund sinkt und leichteren Wassermassen Platz
macht, so daß bei Abkühlung der Oberfläche auf 0 C nicht die ganze Masse gleichzeitig gefrieren kann,
sondern sich die Eisbildung von oben nach unten hin fortpflanzt, sind bei fließenden Gewässern ganz
andere, physikalische Vorgänge maßgebend. Die Gesetze der Eisbildung auf Flüssen sind von Far-
quharson, Barnes, Gay-Lussac, Aitken, Altberg, Penkewitsch, Blayden, Tammann u. a. untersucht
worden. Besonders wertvoll sind ferner die Mitteilungen russischer Beobachter. (E. Stelling, I. von
Spindler, W. A. Wlassow, L. A. Jaczewski, M. F. Zionglinsky, E. W. Blisnjak u. a.) sowie der Deut
schen H. Meyer und J. Bubenday, welche die Tatsache, daß dem Gefrieren der Flüsse und Seen eine
Überkühlung des Wassers voraufgeht, feststellten. Auf Grund von Beobachtungen gewinnt man fol
gendes Bild von der Eisbildung auf Flüssen: Infolge des turbulenten Zustandes des Wassers findet
eine Durchmischung aller Wasserteile statt, so daß die ganze Wassermasse keine großen Verschieden
heiten der Temperaturen aufweist. Die Abweichungen der Temperatur in einem bestimmten Punkte
von der Mitteltemperatur betragen meist nicht mehr als ±0.4° C. Der turbulente Zustand desi
Wassers bedingt ferner einen beständigen Wechsel der Temperaturverteilung selbst bei gleichbleiben
der Mitteltemperatur. Je näher die Temperatur des Flusses an 0° kommt, um so mehr vermindern sich
allmählich die Abweichungen, doch wird auch bei 0° ihre volle Ausgleichung nicht erreicht, so daß
z. B. kältere Wassermassen sich unter wärmere schieben können oder daß nach Abkühlung der
Wassermasse auf 0° leichte Überkühlung eintritt. Diese Überkühlung kann nicht nur an der Ober
fläche, sondern auch in den Zwischenschichten und auch am Grunde festgestellt werden. Barnes hat
zuerst am St. Lorenzstrome in Nordamerika die Durchmischung der Wassermengen gezeigt. An
diesem Strome ist dieselbe infolge der Stromschnellen so groß, daß eine absolute Homogenität der
Temperatur besteht. Barnes hat auch zuerst gezeigt, daß bei rauhem und windigen Frostwetter sich
an der Oberfläche zunächst nur sehr kleine Eiskristalle bilden, die als Kristallisationskerne dienen.
Den Anstoß zum Gefrieren bilden nämlich feste Stoffe im Wasser (sogenannte Kristallisationskerne).
Auf die Notwendigkeit des Vorhandenseins dieser Kerne für den Gefrierprozeß hat besonders Tam
mann hingewiesen. Das Grundeis erklärt Barnes noch immer ziemlich willkürlich durch Ausstrahlung
am Grunde des Flusses, während nach Altberg das Grundeis sich bei der gleichmäßigen Temperatur
verteilung der Wassermasse an am Grunde festliegenden Kristallisationspunkten bildet, so daß es,
obwohl es leichter ist als das Wasser, zunächst nicht emporgehoben wird. Auch nach Gay-Lussac
und Aitken gelangt das Eis durch Zuführung von oben her auf den Grund- Nach Homen verliert
das Wasser im Herbste vor der Bildung von Eis eine große Menge Wärme (bis mehr als 1 gr. Cal.