W. Brenneeke: Die ozeanographischen Arbeitender Deutschen Antarktischen Expedition 1911—1912. 169
missen, nie alle Ursachen, und die Abweichung der berechneten Werte von den beobachteten wird dadurch, daß sie
die Frage nach ihrer Ursache aufzuwerfen zwingt, zur Quelle neuer Erkenntnis."
Und auf dem 17. deutschen Geographentage in Lübeck (1910), wo 0. Krü m m e 1 über die neueren
Theorien der Meeresströmungen sprach, äußerte in der Diskussion Professor Meinardus:
„Wie wir gehört haben, sind die Ansichten über die Ursachen der Meeresströmungen heute noch sehr geteilt.
Nach meiner Meinung können im gegenwärtigen Stadium der Diskussionen nur Beobachtungen aus der Tiefe des
Meeres eine Entscheidung darüber herbeiführen, 'welches die Ursachen der Wasserbewegnngen im Meere sind. Es
ist in letzter Zeit zn viel theoretisiert und zn wenig beobachtet worden.“
Schließlich sei noch V. Bjerknes angeführt, der in seinem Werk „Dynamische Meteorologie und
Hydrographie“ (II. Teil, S. 21) ausführt:
„Als wichtigster Punkt muß betont werden, daß es nötig ist, genügend Daten von unmittelbaren Beobachtungen
der Meeresbewegnngen sowohl an der Oberfläche wie in größeren Tiefen herbeizuschaffen."
Die zwingende Notwendigkeit, Beobachtungsmaterial über die Bewegungsvorgänge an der Ober
fläche und in den Tiefen des Meeres zu schaffen, ist demnach allseitig erkannt worden. Heiland-
Hansen auf dem „Michael Sans“, F. Nansenin der See bei Spitzbergen und A. Merz auf einer Kabel
dampferfahrt haben neuerdings auch Beobachtungen über Tiefenströme ausgeführt, 1 * ) aber zu einem
systematischen Studium der Bewegungsvorgänge, wie es namentlich auch V. Bjerknes fordert, ist es
bislang nicht gekommen. Auf der „Deutschland“ bin ich in zweifacher Weise dem Problem näher
getreten: einerseits durch Beobachtungen vom treibenden Schiff aus im Eis der Weddel-See (siehe hier
über Kap. VIII), andererseits durch Beobachtungen vom verankerten Boot aus. Bei den vielfältigen
Aufgaben, zu denen auf der Reise der „Deutschland“ Stellung zu nehmen war, und bei der beschränkten
Zeit, die für ozeanographische Arbeiten zur Verfügung stand, mußte von vornherein davon abgesehen
werden, ein größeres Beobachtungsmaterial durch Messungen vom verankerten Boot aus beizubringen.
Worauf es mir vor allem ankam, war, eine Methode zu erproben, die gestattet, auf der Tiefsee einwand
freie Beobachtungen über die Bewegungsvorgänge in den Tiefenschichten zu gewinnen.
Da die Verankerung des Schiffes in großen Tiefen nur unter Aufwendung großer Mittel zu er
reichen ist, auch eine Ruhelage des Schiffes (namentlich eines Segelschiffs, wie es die „Deutschland“
war) nicht leicht zu erreichen ist, weil es eine zu große Angriffsfläche für den Wind bietet, so wurde die
Verankerung eines Bootes in Aussicht genommen. Zu diesem Zweck war die große Winde für die
ozeanographischen Reihenmessungen mit 2 Trommeln versehen, deren eine mit der Stahldrahtlitze von
2 mm® für die Bootsverankerung belegt wurde. Für die Verankerung war eine Tiefe von etwa 3000 m
in Aussicht genommen; um auch größere Tiefen benutzen zu können und um jeden Zug auf die aus
zugebende Drahtlitze durch das Schiff zu vermeiden, wurden 4000 m Drahtlitze auf die Trommel ge
nommen. Bedingung für die Ausführung des Versuches war ruhiges Wasser, das in der Kalmenzone
zu erwarten war, wo auch geeignete Tiefen in der Nähe der mittelatlantischen Schwelle vorhanden waren.
Sehr wesentlich war die Wahl der Verankerung für das Boot, Es wurde hier auf die Erfahrungen bei
den Tiefseelotungen zurückgegriffen. Bei diesen gebraucht man in der Regel die Sigsbeesche Lotröhre,
auf die ein 25 kg schweres Gewicht gehängt wird, das nach der Erreichung des Meeresbodens abfällt. An
der Lotröhre ist eine Schlammröhre befestigt (in der Regel 3 /« m lang), die in den Tiefseeton eindringt
und eine Bodenprobe beim Einhieven des Drahtes in die Höhe fördert. Es hat sich nun herausgestellt,
daß die Schlammröhre, die in der Regel % bis V> m tief in den Boden eindringt, meist ziemlich großen
Widerstand gegen das Herausziehen leistet, auch wenn das Gewicht abgefallen ist, so daß, wenn der
Draht mit der Dampfmaschine eingehievt wird, zuweilen ein Bruch des Lotdrahtes elntritt, (Vergl. die
Ausführungen in Kap. I, Abschnitt 3.) Es konnte jedenfalls erwartet werden, daß wenn man ein Boot
vor eine im Tiefseeschlamm steckende Schlammröhre legte, die mit einem Gewicht von 25 kg belastet
war, 1 ) der von dem Lot ausgeübte Zug, der schon durch die Reihung der Drahtlitze im Wasser fast ganz
aufgefangen wird, nicht die Schlammröhre aus dem Meeresboden herausziehen würde. Diese Voraus-
i) Die endgültigen Ergebnisse sind noch nicht, veröffentlicht, über die Methode habe ich mich in Ami. d. Hydr.
von 1915, S. 60 u. 61 geäußert.
*) Das Gewicht wurde auf der Lotröhre festgebunden, so daß es nach Erreichen des Bodens nicht abfallen konnte.