Die geschichtliche Entwicklung der Polhöhenbcstimmungen bei den älteren Völkern. 2]
Obwohl mit diesen Angaben Del am br es sich die Frage der Polhöhenbestimrmmg bei Ibn Junis
durchaus nicht erschöpfend beantworten läßt und wir von der Festlegung der Richtung nach Mekka 1 )
(Ziehung der Qibla, Kibleh) nichts erfahren, so ersehen wir andererseits aus diesem Kapitel, wie es um
das Jahr 1000 n. Chr. mit der arabischen Gnoinonik bestellt ist. Man sieht, daß der Astronom bei senk
rechtem Stylus eigentlich für jeden Tag andere Stundenmarken (lieures temporaires) auf den Schattenkurven
bestimmen mußte. Dies besorgte er bekanntlich nur für die Schattenlinien der beiden Solstitialtage und
verband „äquihoräre“ Punkte durch gerade Linien; ein Verfahren, das nur annähernd richtig war. Daß
der dabei begangene Fehler jedoch nicht beträchtlich werden konnte, zeigt Delambre zahlenmäßig
(Hist, de Tastronomie ancienne, S. 482).
Fünftes Kapitel.
Die gnoinoiiiscli-konstrnktivcu Methoden Ahul Hassans.
Wie Ptolemäus, der letzte wissenschaftliche Grieche, uns in seinem Almagest die Constructio
magna, die große Zusammenstellung der Leistungen griechischer Mathematiker und Astronomen, vorführt,
so weist auch die Blüteperiode arabischer Wissenschaft schon in den Tagen ihres Niedergangs im fernsten
Westen maurischer Kultur einen letzten großen Mann auf: Abul Hassan Ali von Marokko. Audi
er legt uns in einem stattlichen zweibändigen Folianten, welcher den Titel führt: „Zusammenfassung der
Anfänge und Zwecke“, auseinander, wie weit es die Araber in der praktischen Astronomie gebracht
haben, und bis zu welcher Verfeinerung insbesondere die arabische Gnomonik gediehen war. Fs ist eines
der vielen Verdienste des Orientalisten J. J. Séd il lot, dem Abendlande Abul Hassans Werk, welches
als Manuskript 1147 der Kgl. Bibliothek zu Paris angehört, durch Übersetzung in die französische Sprache
zugänglich gemacht zu haben. Die Collections des commencements et des fins haben den speziellen
Titel : „Traité des instruments astronomiques des Arabes composé au treizième siècle par Aboul Hhassan
Ali, De Maroc“, 1834.
Sowohl im ersten als auch im zweiten Bande kommt Ab ul Hassan oft auf die Bestimmung der
Polhöhe zu sprechen. Man kann bei ihm fünf Arten von Methoden unterscheiden:
1. Bestimmungen der Breito aus dem Zcnit—Po 1—Sonne—(Stern•) Dreieck,
2. konstruktive Ermittlung derselben aus dem Zifferblatt der Horizontal-
Sonnenuhr (arabisch: Basithah),
3. bis 5. das Aufsuclien der Breite vermittelst der Vertikalsonnenuhr über dem
Meridian, der Ost-Westlinie und der von dieser um ein gegebenes Azimut abweichenden
V e r t i k a 1 u h r ( französisch : Déclinant).
*) Das Ziehen dieser Richtlinie (eigentlich nach Ihn Junis: G esi oh ts weudung gegen die Kaaba) lehrt
schon Al-Battäni und ebenso Ihn Junis (vgl. die lehrreiche Abhandlung von G. W. S. Beigel, „Bemerkungen über
die Gnomonik der Araber“ in „Fundgruben des Orients“, I. Bd„ 8. 4U9 ff.). Danach hat Al-Battäni für Rakka (Aracte)
in Persien, wo er beobachtete, die Polhöhe von 36° zugrunde gelegt, was mit der Karte II von J. Lelewels Atlas:
„Géographie du moyen âge“ in sehr gutem Einklang steht. Ibn Junis berechnet die Kibleh-Richtung für Fostat (neben
Kairo). Da sie jedoch mit Beigels Rechnungen nicht, stimmt., so vermutet er, daß Ibn Junis keine ganz genauen
Längen- mul Breitemmterschiede von Fostat und Mekka hatte. Beigel legt deshalb die Angaben der Ptolemäischen
Geographie der Rechnung zugrunde, wonach Fostat (Babylon Aegypti) der 30. Parallel, Mekka (Macoraba) der 22. eignet.
Die erstcre Angabe ist noch heutigen Tages richtig (vgl. C. Niebukrs „Reisebeschreibung nach Arabien usw.“, I. Bd.,
Tab. XII), die zweite nur um ca. 20 Bogenminuten zu groß. Diese Genauigkeit der Ptolemäischen Angaben ist
geradezu überraschend. — Leider hat Caussin aus den Hakimitischen Tafeln des Ibn Junis gar keine Breiten aus
gehoben, so daß wir in dieser Hinsicht nichts mitzuteilen vermögen.
Wir haben uns mit der Bedeutung der Kibleh für die mohammedanische Religion eingehender beschäftigt in dem
Aufsatz: „Die Sonnenuhren der Araber in ihrer Bedeutung für die arabische Astronomie und Religion“ (Naturwiss.
Wochensehr. 1911, 8. 240 ff'.), (lu-e Festlegung in den Nischen aller Moscheen und auf dem Zifferblatt der Horizoutaluhren,
die an öffentlichen Orten von freier Aussicht, besonders auf den Minareh, aufgestellt waren, war Aufgabe des Astronomen,
der gleichzeitig Diener der Religion war. Der hei der Moschee amtlich allgestellte Zeitbeobaekter heißt Mowakket, er
ist verschieden von dem Gebetsrufer, welcher Muedsin heißt. „Der erste Ausrufer war Belial, der Äthiopier; der
Prophet sagte von ihm: „Belial ruft mit einer Stimme wie Kristall“ (Auszüge aus der >Suna oder der mündlichen Über
lieferung Mohammeds 81, S. 158).