17
Die geschichtliche Entwicklung der Polhöhenbestimmungen bei den alteren Völkern.
Nordpol hat, und der in seinem ganzen Verlauf über dem Horizonte bleibt, und du
nimmst die größte Höhe dieses Sterns, vveiche er im Meridian zwischen Pol und
Zenit erreiche, und wenn du darauf wartest, bis er durch den Meridian zwischen Pol
und Horizont geht, womit er die kleinste Höhe erreicht, so mußt du der halben
Differenz dieser zwei Höhen die kleinste hinzufügen, um die Höhe des Nordpols über
dem Horizonte zu erhalten. Auf gleiche Weise ergibt die halbe Summe der zwei
Höhen ebenfalls die Polhöhe oder Breite des Ortes.“ 1 )
Daraus erhellt, daß also die Methode der Zirkumpolarsternc den arabischen Astronomen des 9. Jahr
hunderts wohl bekannt war und längst vor Abul Hassan in Anwendung gebracht wurde 2 ). Zu eruieren,
ob sie sich noch bei früheren Arabern nachweisen läßt, wird Aufgabe einer künftigen Durchforschung
der noch im Staube der reichhaltigen Bibliotheken des Ostens und Westens vergrabenen arabischen Hand
schriften sein, und man muß sich bis jetzt mit irgendwie begründeten Vermutungen der Männer von
Fach begnügen. 11. Suter 3 ) ist der Ansicht, daß die Methode den Arabern lange vor Battäni
bekannt war, und S. Günther 4 ) glaubt, daß sie wohl gar auf Hipparch zurückgehe.
Als zweites Verfahren wird im Opus astronomicum erwähnt die Bestimmung der Breite ans
dem Zeitunterschied des längsten oder kürzesten Tages und dem mittleren Tag
(Kap. VIII, S. 21: „per incrementum diei longissimi super diem medium aut per dccrementum diei
brevissimi.“ »Per augmentum longioris diei super diem aequalem vcl per brevioris diei diminutionem,“
bei Plato von Tivoli: De scientia stcllarum, Kap. VT1T, S. Dl). Hierbei folgt Al-Battäni ganz
seinem griechischen Vorbilde Ptolemäus, dabei allerdings, wie er ausdrücklich sagt, die halben Sehnen
durch den Sinus ersetzend. Mit Berücksichtigung dieses läßt sich der Text der Battänischen Lösung
leicht aus der Transversalenregel des Ptolemäus vei-ifizieren, und diesen Beweisgang wollen wir ein-
schlagen. Wir können uns dabei auf Fig. 5 Tafel I beziehen. Wenn man dort Z als Nordpol auffaßt, so
repräsentiert C(\ den Wendekreis des Krebses, CA — (j (»’ die Ekliptikschiefe s, A T K P den halben
Tagbogen des kürzesten Tages. Nach den Bezeichnungen Al Battänis ist:
///',' — distantia ascensus Cancri ab ortu aequinoctiali,
HB - 00 0 — EU — dist. (longinquitas) ascens. Cancri a puncto boreali.
Zunächst muß HB, womit ja dann sofort EH gegeben ist, berechnet w r erden. Dafür wird folgende Regel
angegeben:
„Multipliziere den Kosinus der Ekliptikschiefe mit dem Sinus des halben Tage
bogens und dividiere das Produkt durch den Radius; was herauskommt, verwandle
in Bogen. Dieser ist dann die Länge des Aufganges des Krebskopfes vom Nordpunkt,
durch deren Subtraktion von 90° du die Länge des Aufganges des Krebsanfangs vom
Ä q u i n o c t i a 1 p u n k t (Widder) erhältst.“
Die Richtigkeit derselben ergibt sich mühelos aus der Anwendung des Transversalensatzes auf das
rechtwinklige sphärische Dreieck ¡¡HZ. Wir verlängern in demselben (Fig. 7) die Hypotenuse ZH bis J
und die Kathete ZB bis K, so daß ZJ — ZK — 90 0 wird. Durch K und J legen wir den größten
Kreisbogen KJ, der die verlängerte Kathete HB in S trifft. Dann ist S der Pol von ZK, also auch
SB — SK = 90°; JK = -¿C P- Somit kann man schreiben:
chord (2 HB) chord (2 ZH) chord (2 JK)
chord (2 SB) chord (2 JZ) chord (2 SK)'
! ) Die betreffende Stelle bei Plato von Tivoli, die nach Kap. VIII, S. 13 (De scientia stcllarum) wahrscheinlich
von Plato selbst eiugesclioben ist, wie Nallino (a. a. O. 8. 15) mit Recht vermutet, da sie gar nicht zum Titel des
Kap. VIII paßt, lautet: „Si autem hacc per aliquant stellarum fixarum circa polum positarum, ct ipsae sunt, quac in ipsa
regione nunquam occultantur, iuspicerc volueris, ipsius altitudines cum altius et inferius fuerit, quod contigit cum per
cireulum medium coeli semel supra polum et semel subtus polum transierit accipc, scilicet altitudines, aut eas in «mim
collige, et collecti diinidium aecipe, quodque fuerit, crit altitudo poli in regione illa.“
2 ) In R. Wolfs „Geschichte der Astronomie“ findet sich 8, 149 die irrige Ansicht ausgesprochen, daß sich Abul
llassan von Marokko (f ca. 1250) zum erstenmal der Mittelbildung der Kulminationshöhen eines Zirkumpolarsterns zur
Bestimmung der Polhölie bedient hätte. Die gleiche falsche Behauptung spricht auch H. Löschner in seinem interessanten
Buche „Über Sonnenuhren“, S. 42 aus.
3 ) und 4 ) Nach gütigen brieflichen Mitteilungen der Herren Professoren Suter und Günther an den Verfasser.
Archiv 1911, Nr. 2. 3